Essen. In NRW werden so viele Covid-19-Patienten auf Intensivstationen behandelt wie nie zuvor. Gewerkschaften und Ärzte fordern eine Verschnaufpause.

Am ersten Tag der verschärften Corona-Schutzmaßnahmen spitzt sich die Lage auf den Intensivstationen weiter zu. Inzwischen werden in den NRW-Kliniken über 1060 Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt – so viele wie nie zuvor seit Beginn der Pandemie.

Rund 86 Prozent der Intensivbetten sind nach Meldungen der Kliniken vom Mittwoch belegt, gerade einmal 818 stehen noch für Covid-Patienten oder andere Notfälle zur Verfügung. Nahezu jeder fünfte Intensiv-Patient ist ein Corona-Fall.

Essener Klinik-Chef: „Wir sind am Anschlag“

Jochen A. Werner, ärztlicher Direktor der Essener Uni-Medizin, warnte vor einer Überlastung. „Wir sind am Anschlag“, sagte der Chef des größten Corona-Zentrums in NRW, der WAZ. Das System ertrage – vor allem mit Blick auf die nicht an Covid-19 Erkrankten – nicht noch mehr Kranke.

Das Klinikum hat Anfang der Woche den 1000. Corona-Patienten seit Beginn der Pandemie aufgenommen. Die Zahl der Neuinfektionen steigt weiter an: Das RKI meldete am Mittwoch 4630 neue Fälle in NRW. Bundesweit gab es 952 weitere Todesfälle – ein Höchststand.

Gewerkschaften fordern Verschnaufpause für Klinik-Personal und Notfallbetrieb

Gewerkschaften und Ärztevertreter fordern, dass alle Kliniken in NRW in einen Notfallbetrieb wechseln und planbare Eingriffe verschieben. Mitarbeiter arbeiteten seit Wochen am Limit und zum Teil am Rande der Erschöpfung, mahnte der Marburger Bund jüngst.

Vorstand und westfälischer Ärztekammer-Präsident Hans-Albert Gehle hatte gefordert, dass die Kliniken „zur Entlastung aller nur noch ein Wochenend-Programm fahren, also nur Notfälle behandeln“ sollten. Nötig sei das ab dem 19. Dezember und bis Anfang Januar.

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Unterstützung erhält er von Pflege-Gewerkschaftern. Der Bochumer Bund warnte am Mittwoch, dass eine umfassende pflegerische Versorgung nicht mehr aufrechtzuerhalten werden könne. Man könne nicht mit dem gleichen Personal immer mehr Covid-Patienten behandeln. Verdi NRW forderte die Politik auf, gesetzlich zu regeln, dass verschiebbare Operationen auch tatsächlich nicht stattfinden und Einbußen zu kompensieren.

Laumann lehnt landesweite Vorgabe ab: Im Ermessen des jeweiligen Krankenhauses

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) lehnt eine landesweite Vorgabe ab. Die Entscheidung, ob eine planbare Operation verschoben wird, stehe nach der neuen bundesrechtlichen Regelung im Ermessen des jeweiligen Krankenhauses, sagte Laumann zur WAZ. „Das ist auch gut so, weil es sich um eine medizinische Entscheidung handelt, die am besten der behandelnde Arzt vor Ort treffen kann.“ Der Bund hat die Freihaltepauschalen zudem neu geregelt.

Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen.
Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen. © dpa | Marcel Kusch

Noch im März hatten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die Landesminister die Kliniken aufgefordert, alle medizinisch vertretbaren Eingriffe zu verschieben. Für freie Betten gab es eine Pauschale. Das sei nicht nur gut gewesen, so Laumann.

„Einige Patienten haben Erkrankungen verschleppt, in anderen Fällen haben Kliniken Operationen verschoben, die besser hätten gemacht werden sollen.“ Zur Wahrheit gehöre auch, dass es manchmal für eine Klinik interessanter gewesen sei, die Freihaltepauschale zu nehmen als eine bestimmte Operation zu machen. „Diese Situation wollen wir nicht noch einmal haben.“

Zur Lage auf den Intensivstationen hatte Laumann bereits am Dienstag unterstrichen, dass die Zeit nach der ersten Corona-Welle im Frühjahr genutzt worden, um die „Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen für die Pandemie wesentlich robuster aufzustellen“. Inzwischen gebe es hier 30 Prozent mehr Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit. Zudem habe NRW noch erhebliche Möglichkeiten, personelle und strukturelle Kapazitäten über Reha-Kliniken zu mobilisieren.

Vor allem kleinere Kliniken in NRW geraten ins Straucheln

Laut Krankenhausgesellschaft NRW verschieben die Kliniken durchaus planbare Eingriffe. Wenn Klinikpersonal selbst infiziert und in Quarantäne sei, werde es manchmal eng auf den Stationen und Operationen müssten zurückgefahren werden, sagte Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. „Deshalb ist es so wichtig, dass die Zahl der Neuinfektionen wieder sinkt.“

Die Uni-Klinik Essen verschiebt erste elektive, nicht zwingend notwendige Eingriffe bereits. Wirtschaftlich problematisch sei dieser Schritt indes gerade für kleinere Häuser. Obwohl nahezu jedes Normalkrankenhaus inzwischen mit Corona zu tun habe, profitiere nur ein Drittel der Kliniken von der neuen Freihaltepauschale, heißt es von der Krankenhausgesellschaft.