Essen/Dortmund. Mehrere Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung. Wie sicher sind die Wirkstoffe? Experte: Nur Impfungen können Pandemie beenden.

Noch nie haben Wissenschaftler so schnell Impfstoffe entwickelt wie jetzt in der Coronakrise. 90 Prozent oder sogar mehr Schutz vor einer Infektion versprechen die Wirkstoffe von Moderna, Biontech/Pfizer oder Astra-Zeneka . Staaten sichern sich bereits Millionen Impfstoffdosen, Länder und Kommunen bereiten sich auf Massenimpfungen vor. Alle Hoffnungen richten sich nun darauf, dass ein Impfstoff die Ausbreitung des Erregers stoppen und die Pandemie beenden wird. Doch wie lange kann ein Impfstoff vor Infektionen schützen und ist dann die Pandemie vorbei?

Schützt ein Impfstoff dauerhaft vor Corona-Infektionen?

Noch können keine Langzeitstudien vorliegen, doch erste Daten stimmen Experten optimistisch. Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab , dass im Blut von infizierten Menschen noch sechs Monate nach dem Einsetzen erster Symptome sowohl Antikörper als auch Killer-T-Zellen – zwei zentrale Abwehrwaffen des menschlichen Immunsystems – im Blut nachweisbar waren. Damit wäre der Körper vor einer weiteren Infektion geschützt.

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Für Prof. Carsten Watzl, Immunologe am Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund, sind diese Ergebnisse ermutigend: „Von natürlichen Infektionen mit anderen Corona-Viren, die eine normale Erkältung auslösen, wissen wir, dass der Körper dagegen Antikörper und Killerzellen entwickelt. Diese Immunität hält etwa eineinhalb Jahre an.“

Eine Impfung löse aber eine deutlich effektivere Immunantwort des Körpers aus als eine natürliche Infektion, so Watzl, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie ist. „Die Hoffnung ist also, dass die Immunität durch die Impfstoffe deutlich länger anhält. Man sollte daher erwarten, dass ein Impfstoff mehrere Jahre Schutz geben wird.“ Von einer lebenslangen Schutzwirkung könne nach heutigem Kenntnisstand allerdings nicht ausgegangen werden.

Wie wirkt der Impfstoff?

Im Körper gibt es zwei Mechanismen, die das menschliche Immunsystem benutzt, um eine Virusinfektion zu kontrollieren, erklärt Prof. Ulf Dittmer, Leiter des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen. Antikörper können das Eindringen des Virus in eine Körperzelle verhindern und dadurch die Virusvermehrung bremsen. Ist eine Zelle bereits infiziert, kommen sogenannte Killer-T-Zellen zum Einsatz. „Sie erkennen virusinfizierte Zellen und töten sie ab. Die Virusproduktion wird dadurch gestoppt“, so Dittmer.

Durch den Impfstoff lernt das Immunsystem die entscheidenden Teile des Erregers kennen, so dass es eine gezielte Abwehr entwickeln kann. Bei der tatsächlichen Begegnung mit dem Virus wird dieser dann von den Antikörpern erkannt und in der Regel so effektiv bekämpft, dass die Erkrankung bei dem Geimpften gar nicht erst ausbricht oder zumindest einen milderen Verlauf nimmt.

Ob für eine Immunität vor allem Antikörper oder Killerzellen oder beide zusammen nötig sind, sei noch nicht zu beantworten, so Watzl. Studien des Essener Virologen Dittmer mit älteren Covid-19-Patienten lieferten indes Hinweise darauf, dass beide Waffen des Immunsystems wichtig sind: „Es ist wichtig, dass ein Impfstoff nicht nur Antikörper gegen das Virus induziert, sondern zugleich die Killer-T-Zellen des Immunsystems aktiviert“, erklärte Dittmer. Denn vor allem ältere Menschen verfügten über vergleichsweise wenige Killerzellen im Blut.

Wie viele Menschen müssen geimpft werden?

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„60 bis 70 Prozent der Menschen müssen sich impfen lassen, damit sich das Virus nicht weiter ausbreiten kann“, sagt Immunologe Carsten Watzl. Da das Virus sich nicht außerhalb des Körpers vermehren kann, wäre sein Verbreitungsweg somit weitgehend blockiert. „Doch das Corona-Virus wird uns nicht verlassen“, mahnt Watzl. Dazu müsste die gesamte Bevölkerung geimpft sein. „Bei Pocken ist uns das geklungen.“ Da das Corona-Virus ursprünglich von Tieren auf den Menschen übersprang, wäre ein erneuter Ausbruch theoretisch denkbar. Eine Umfrage der Barmer ergab kürzlich, dass sich in NRW 57 Prozent der Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen würden.

Müssen Geimpfte mit Nebenwirkungen rechnen?

„Jeder Eingriff in den Körper kann unerwünschte Nebenwirkungen verursachen “, so Watzl. Bei einer Therapie, etwa gegen Krebs, nimmt man teils heftige Nebenwirkungen in Kauf, um die Krankheit zu bekämpfen. Bei einer Vorbeuge-Maßnahme wie einer Impfung gelten aber strengere Maßstäbe, erklärt der Wissenschaftler. „Es gibt Impfschäden, sie sind aber sehr selten“, sagt Watzl. Das Paul-Ehrlich-Institut habe zuletzt innerhalb von fünf Jahren bei 210 Millionen Impfungen 160 nachgewiesene Impfschäden registriert. „Im Mittel also weniger als ein Fall bei einer Million Impfungen“, rechnet Watzl vor. Er gibt zu bedenken, dass die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion viel schwerwiegender seien als die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung.

Können auch Geimpfte den Erreger weitergeben?

Auch nach einer Impfung müssten die Menschen weiterhin die Schutzmaßnahmen beachten, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie andere Menschen anstecken, erklärt der Immunologe. Dies wäre vor allem für den Gesundheitsbereich problematisch. „Es wäre eine Illusion zu glauben, dass es im Frühjahr wieder große Partys geben könnte. Wir müssen uns daran gewöhnen, auch weiterhin Masken zu tragen und Abstand zu wahren.“ Wenn vor allem die Risikogruppen geimpft sind, könnten die Maßnahmen aber nach und nach gelockert werden.

Wann ist die Pandemie vorbei?

Carsten Watzl schätzt, dass es ein bis zwei Jahre dauern werde, um die anvisierte Quote von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung gegen das Coronavirus zu impfen. „Nur durch die Impfungen werden wir die Pandemie in den Griff bekommen“, ist er überzeugt. Dann sei die Lage kontrollierbar. Dass die bisher entwickelten Impfstoffe wirksam sind, sei erwiesen. „Mehr als eine über 90-prozentige Wirksamkeit kann man nicht erwarten.“ Vieles hänge nun davon ab, ob sich genügend Menschen impfen lassen.