Essen. Kliniken in NRW holen Mitarbeiter vorzeitig aus der Corona-Quarantäne. Das ist zulässig, lässt aber Fragen aufkommen.
Um Personalnöten in der Pandemie entgegenzuwirken, gehen Kliniken offenbar auch riskantere Wege. Von April bis Ende Oktober haben NRW-Krankenhäuser in mindestens rund 3560 Fällen Ärzte und Pfleger eingesetzt, obwohl die Betroffenen bei einem engen Covid-19-Kontakt einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt waren und für sie als „Kontaktpersonen ersten Grades“ eine Quarantänepflicht galt.
Das geht aus der Antwort des NRW-Gesundheitsministeriums auf eine kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor, die dieser Redaktion vorliegt. Die tatsächliche Zahl könnte durchaus höher ausfallen, weil nicht alle Kliniken Angaben gemacht haben.
Robert-Koch-Institut lässt vorzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz zu
Medizinisches Personal darf vorzeitig wieder zur Arbeit zugelassen werden , wenn in einer Praxis oder Klinik Personalmangel herrscht und dem nicht anders beizukommen ist. Die Freigabe gilt aber ausschließlich für die Arbeit. Das Robert-Koch-Institut (RKI) nennt zudem strikte Bedingungen. Dazu gehört, dass Beschäftigte symptomfrei sein müssen, einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen, sie werden wiederholt getestet und dürfen keine Risikopatienten behandeln.
Fachkräfte, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt waren, dürfen eine Woche nach dem entscheidenden Kontakt wieder eingesetzt werden, jene mit einem begrenzterem Risiko auch früher. Nicht entscheidend ist, wo der Kontakt stattgefunden hat.
SPD sieht Grund für Kritik an Gesundheitsminister Laumann
Der Antwort nach gab es solche Fälle überall im Land. In Recklinghausen haben Kliniken 222 Fälle gemeldet, aus Gelsenkirchen wurden 98 Fälle gemeldet, aus Essen 32. In Bochum haben Kliniken in bis zu 55 Fällen Personal zurückgeholt, obwohl Angebote etwa von Zeitarbeitsfirmen vorlagen. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind bei einer Krankenhausgruppe in 70 Fällen verschiebbare Eingriffe nicht abgesagt worden.
SPD-Fraktionsvize Lisa Kapteinat sagte, sie sei geschockt von der hohen Zahl in einem Zeitraum, in dem die Situation relativ gut im Griff gewesen sei. Sie sieht NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in der Pflicht: „Gerade von einem Gesundheitsminister, der auch Arbeitsminister ist, hätte ich erwartet, dass er sich intensiver um das medizinische Personal kümmert“, kritisierte Kapteinat.
Die Frage sei jetzt, wie die Situation aktuell in den Kliniken aussehe und wie Laumann den Schutz der Menschen gewährleisten wolle, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen.
Ministerium verweist auf konkurrierende Ziele
Das NRW-Gesundheitsministerium verweist in seiner Antwort an die SPD auf das RKI. Beim Umgang mit Kontaktpersonen unter medizinischem Personal konkurrierten unterschiedliche Ziele miteinander. Einerseits müsse das Risiko von Übertragungen minimiert, anderseits die akutmedizinische Versorgung gewährleistet werden.
Deutschlandweit infizieren sich immer mehr Beschäftigte in Kliniken und Praxen mit Sars-CoV-2. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, hat sich die Anzahl des betroffenen Personals zuletzt mehr als vervierfacht - von knapp 600 Infizierten Mitte Oktober auf mittlerweile ungefähr 2700.