Düsseldorf. NRW-Innenminister Reul hat die Sonderermittlungen zu rechtsextremen Tendenzen in seiner Polizei eingeleitet. Schnelle Ergebnisse sind das Ziel.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich etwas vorgenommen, das jeden Terminreferenten verzweifeln lässt. Er will mit der gesamten mittleren Führungsebene der NRW-Polizei persönlich sprechen. Das sind etwa 3500 Dienstgruppenleiter, die den Riesenapparat mit insgesamt 50.000 Beschäftigten täglich bis hinunter zum Schutzmann an der Ecke steuern. „Ich brauche nicht nur die Chefs, sondern vor allem die, die noch ganz nah dran sind am Alltag der normalen Polizisten“, sagt Reul. Da lässt er nicht mit sich reden. Denn das Thema ist ernst: Rechtsextremismus in den eigenen Reihen.

Regelmäßig werden dem Innenminister nun knapp zweistündige Gesprächsrunden mit Gruppen von 100 bis 150 Führungskräften aus den 47 Kreispolizeibehörden in den Terminkalender gezwängt. Reul eröffnet die Zusammenkünfte gern mit zwei geschmacklosen Nazi-Bildchen. „Das ist immer ein kleiner Realitätsschock“, sagt der 68-jährige Reul, der in seinem ersten Berufsleben Studienrat für Sozialwissenschaften war.

Im September wurde die „Schande für die NRW-Polizei“ erstmals öffentlich

Die Fotos stammen aus einer von mehreren privaten Chat-Gruppen, in denen sich über Jahre Dutzende Polizisten vor allem des Präsidiums Essen/Mülheim tummelten. Mindestens 150 strafrechtlich relevante Inhalte fanden sich dort. Reichskriegsflaggen. Die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einem Konzentrationslager. Szenen einer Erschießung von Menschen mit dunkler Hautfarbe. Weihnachtsbaum-Kugeln „mit SS-Runen und ‚Sieg Heil‘-Aufschriften“. Ein aus Dienstmunition gelegtes Hakenkreuz. Beamte, die in Videosequenzen „Deutschland, Deutschland über alles“ grölen.

Seit Reul im September diese „Schande für die NRW-Polizei“ öffentlich machte, wird im Innenministerium alles hinterfragt. Die Chatgruppen waren bloß ein Zufallsfund bei anderweitigen internen Ermittlungen. Erst 60 Prozent der bei diversen Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Handys und Computer sind bislang ausgewertet. Da kommt wohl noch mehr. Ganz getraut hatte Reul den Beteuerungen seiner Untergebenen zwar nie, es gebe keinerlei Rechtsproblem bei der NRW-Polizei. Frühzeitig führte der Minister eine Regelüberprüfung aller Kommissarsanwärter durch den Verfassungsschutz ein und brummte jeder Behörde einen „Extremismusbeauftragten“ auf. Aber die Polizei jetzt so drastisch als Freund und Hetzer vorgeführt zu bekommen - das war auch für Reul ein Schock.

Wie schon nach den Ermittlungspannen im Skandal um Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde soll nun intern gründlich aufgeräumt, sensibilisiert und neu organisiert werden. Reul weiß, dass das in einem von Korpsgeist und Hierarchien geprägten Gebilde ein Drahtseilakt ist: „Ich will konsequent aufklären, aber auch nicht in der Polizei Angst und Schrecken verbreiten.“

Neue Stabsstelle geht dem Rechtsproblem in den Behörden auf den Grund

Bis zum Februar wird der neue „Sonderbeauftragte für Rechtsextremismus in der Polizei“, Uwe Reichel-Offermann , zunächst ein Lagebild zum Ausmaß des Problems erstellen. Der 64-jährige Diplom-Politologe war bislang stellvertretende Verfassungsschutz-Chef und kennt das Innenleben der NRW-Sicherheitsbehörden seit Jahrzehnten. Kurz vor der Pension spürt er jede Freiheit zu sagen, was ist. Mit seiner sechsköpfigen Stabsstelle will er ein Dutzend repräsentative Polizeidienststellen besuchen und anonymisiert befragen.

Außerdem soll der Blick in Wissenschaft und andere Länder helfen, eine Antwort auf die drängendsten Fragen zu erhalten: Wie verbreitet ist das Rechtsextremismus-Problem in der NRW-Polizei? Macht der oft frustrierende Dienst anfälliger für braune Propaganda? Was muss bei Einstellung und Ausbildung besser werden? Wie lässt sich die Verpflichtung auf den Diensteid ein Berufsleben lang wach halten? „Wir arbeiten mit wissenschaftlichen Methoden, aber mit einem pragmatischen Ansatz“, sagt Reichel-Offermann.

Bislang hat sich Reul von allen Versuchen, das Problem zu bagatellisieren und ihn als Nestbeschmutzer hinzustellen, nicht beeindrucken lassen. „Ich will eine Kultur, die so etwas gar nicht mehr zulässt“, sagt er. Der gegenseitige Schutz der Kollegen im Einsatz müsse künftig die Hilfestellung beim Abdriften in rechtsextremes Gedankengut umfassen.