Essen. Die rund 550.000 NRW-Beschäftigten im öffentlichen Dienst erhalten mehr Geld. Das Echo in NRW ist dennoch geteilt
Es ist ein komplexes Werk, auf das sich kommunale Arbeitgeber und die Gewerkschaften in Potsdam geeinigt haben: Der Tarifkompromiss im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes beschert den rund 550.000 Beschäftigten in NRW in zwei Stufen zwischen 3,2 und 4,5 Prozent mehr Lohn und kleineren Einkommen und Pflegekräften das deutlichste Lohnplus. Das Echo ist dennoch geteilt: Während die Städte von einem „vertretbaren Kompromiss in schwieriger Zeit“ sprechen, fordern Ärzte und Pflegekräfte weitere Verbesserungen.
Was bedeutet der Tarifkompromiss für die Städte in NRW?
Mehrkosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Das hat der Städtetag NRW ausgerechnet, dessen Geschäftsführer Helmut Dedy sagte, die Einigung sichere trotz der pandemiebedingten wirtschaftlichen Probleme der Städte einen Lohnzuwachs für die Beschäftigten, der ihre Leistungen anerkennt. „Die Einigung bringt Planungssicherheit für die Kommunen bis Ende 2022, das ist wichtig“, unterstrich Dedy am Montag. Er verweist aber auch auf „drastische Steuerausfälle“ wegen der Corona-Pandemie und fordert mehr Unterstützung für die Kommunen – auch über 2020 hinaus.
Welche Folgen hat der Abschluss im Ruhrgebiet?
Die Corona-Krise trifft gerade klammere Städte im Ruhrgebiet besonders. Auch deshalb haben viele Städte der Region besonders genau beim Tarifabschluss hingeschaut. Die Ruhrgebietskommunen müssen mindestens mit Mehrausgaben von insgesamt rund 161 Millionen Euro durch den Tarifabschluss rechnen. Das geht aus einer Berechnung der FORA Forschungsgesellschaft für Raumfinanzpolitik mbH hervor, die exklusiv dieser Redaktion vorliegt. Diese Summe bezieht sich nur auf die Kernverwaltung und die Eigenbetriebe der Städte auf Basis der Lohnausgaben von 2019 – ein Lohn-Plus etwa für die Beschäftigten Tochtergesellschaften kommt noch hinzu.
Ist der Kompromiss ein Dankeschön an die Corona-Helden?
In der ersten Hochphase der Krise sind vor allem Beschäftigte in der Pflege als „Corona-Helden“ bezeichnet worden. Und tatsächlich hat die Gewerkschaft Verdi das satteste Plus in der Pflege erstritten – mit bis zu zehn Prozent mehr in der Intensivpflege in Kliniken auch durch höhere Zulagen. Direkt profitiert allerdings zunächst nur ein kleiner Teil in NRW: Gerade einmal ein Fünftel der Kliniken in NRW ist in kommunaler Hand, bei den teil- und vollstationären Pflegeheimen ist der Anteil mit etwa vier Prozent noch geringer.
Gemeinnützige und kirchliche Träger orientieren sich oft am öffentlichen Dienst. Der Deutsche Caritasverband etwa verhandelt gerade über Lohnsteigerungen. 2018 hat er den Abschluss im öffentlichen Dienst zum Teil übernommen, wie der Katholische Krankenhausverband Deutschland erklärt. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe nennt die jetzige Tarifeinigung einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“, dem weitere Verbesserungen folgen müssten.
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Ist das der Durchbruch für die Gesundheitsämter?
Im öffentlichen Gesundheitsdienst erhalten Ärzte deutlich weniger Lohn als ihre Kollegen in kommunalen Kliniken. Zwar nähern sich die Löhne durch die Tarifeinigung an – Ärzte in Gesundheitsämtern sollen 300 Euro mehr erhalten. Aus Sicht der Ärztegemeinschaft Marburger Bund in NRW bleibt eine wesentliche Verbesserung aber aus. Der Gewerkschaft geht das nicht schnell genug, sie will nun selbst das direkte Gespräch mit Bürgermeistern suchen und arztspezifische Tarifverträge anbieten. Kritik gibt es auch daran, dass lediglich Fachärzte das Lohnplus erhalten sollen, andere Ärzte in den Ämtern aber nicht.
Gibt es auch Verlierer?
Als solche könnte man die Beschäftigten der Sparkassen bezeichnen. Sie erhalten mit 2,4 Prozent ein geringeres Plus als die übrigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Eine Angleichung soll erst ab 1. Dezember 2022 stattfinden. Zugleich soll ihnen die Sparkassen-Sonderzahlung gekürzt werden, die die Beschäftigten in NRW leistungs- und erfolgsabhängig erhalten können. Sie erhalten im Gegenzug zusätzliche freie Tage im Jahr. Die Arbeitgeber wollten die Sonderzulage erheblich reduzieren.
Wer ist von der Tarifeinigung ausgenommen?
Faktisch die Mitarbeiter der kommunalen Flughäfen, die wegen des eingeschränkten Reiseverkehrs in Corona-Zeiten wie ihre privaten Wettbewerber unter erheblichem Druck stehen. Für die kommunalen Flughäfen soll ein Notlagentarifvertrag vereinbart werden wie es ihn in ähnlicher Form zuletzt Ende der 90er Jahre gegeben hat. Die Gewerkschaften wollen in einem solchen Vertrag betriebsbedingte Kündigungen verhindern, die Arbeitgeber wünschen sich möglichst lang Entlastung bei den Personalkosten und mehr Flexibilität beim Einsatz der Mitarbeiter. Die Zeit drängt: Der Dortmunder Flughafen rechnet aktuell mit bis zu 60 Prozent weniger Passagieraufkommen als im Vorjahr. Mitarbeiter gehen ab November erneut in Kurzarbeit.
Sind Warnstreiks vorerst vom Tisch?
Nein, zumindest nicht im Nahverkehr. Denn hier will Verdi einen neuen Rahmen-Manteltarifvertrag für den Nahverkehr durchsetzen, in dem die Arbeitsbedingungen bundesweit einheitlich geregelt werden. Dazu hat die Gewerkschaft alle Landestarifverträge gekündigt. In NRW hat das auch zur Folge, dass das jetzt erzielte Tarifergebnis nicht mehr automatisch in den ÖPNV übernommen wird – das muss im Land nun nachverhandelt werden. Verdi forderte eine Zusage innerhalb von zwei Wochen.