Ruhrgebiet. Das ganze Ruhrgebiet ist Corona-Hotspot. Die Gesundheitsämter können Kontakte der Infizierten kaum noch nachzuvollziehen und holen die Bundeswehr
Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen im Ruhrgebiet gehen Mitarbeiter der Gesundheitsämter inzwischen regelrecht auf dem Zahnfleisch. Insbesondere die Nachverfolgung der vielen Kontakte der Infizierten sei inzwischen so umfangreich, dass die Ämter am Limit arbeiteten, heißt es aus Revierstädten wie Gelsenkirchen und Essen.
In ihrer Personalnot haben inzwischen 18 Städte und Kreise in NRW Amtshilfe der Bundeswehr beantragt. Landesweit sind mindestens 153 Soldaten im Einsatz. Auch in Gelsenkirchen und Duisburg helfen die Soldaten bei der Nachverfolgung von Infektionsketten.
Amtsleiter: Bei noch mehr Neuinfektionen sind Kontakte kaum mehr nachzuverfolgen
In Dortmund unterstützen mittlerweile 40 Soldaten das Gesundheitsamt. Amtsleiter Frank Renken sieht darin aber nur eine vorläufige Entlastung. Zwar hätten die Soldaten dafür gesorgt, dass die Kontaktverfolgung jetzt wieder weitergeführt werden könne. Bei höheren Infektionswerten werde es ohne zusätzliches Personal aber wieder Lücken geben.
„Schätzungsweise ab einem Inzidenzwert von 100 wird es kaum mehr möglich sein, Infektionsketten nachzuverfolgen“, sagte Renken. Dann müsse abgewogen werden, in welchen Fällen Kontakte nachverfolgt werden. Dortmund stand am Dienstag bei einem Inzidenzwert von 71,7 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen.
Studenten, Soldaten und Fachkräfte helfen in den Gesundheitsämtern aus
In NRW sind 2200 Menschen mit nichts anderem als dieser Detektivarbeit beschäftigt – neben abgeordneten Stadtbeschäftigten helfen auch Medizinstudenten und Fachkräfte etwa der Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen aus.
Auf Bundes- und Landesebene müht sich die Politik, für Entlastung zu sorgen. Die schwarz-gelbe Landesregierung will kurzfristig Gelder für 1000 weitere Helfer-Stellen in den Ämtern bereitstellen. Länger warten müssen die Städte auf Mittel des Bundes: Zugesagte vier Milliarden Euro auch für bis zu 5000 neue Fachkräfte stehen erst ab 2021 schrittweise zur Verfügung.
Städtetag NRW mahnt den Bund zur Eile: Gelder müssen schnell her
Dem Städtetag NRW geht das nicht schnell genug. Geschäftsführer Helmut Dedy sagt, das Verfahren müsse beschleunigt werden. „Wir wollen erreichen, dass die Gelder rasch vor Ort ankommen.“ Er fordert auch, dass die Mittel bereits für jetzt geschaffene Stellen eingesetzt werden müssten. „Das kommt auch den Städten zugute, die bereits jetzt die Personalkapazitäten ausbauen. Unser Ziel ist es, die Kontaktnachverfolgung in der Fläche solange wie möglich aufrecht zu erhalten“, so Dedy.
Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, kritisiert, dass der Sommer nicht genutzt worden sei, um Hilfskräfte für die Gesundheitsämter gezielt auf die zweite Welle vorzubereiten. „In der ersten Hochphase der Pandemie gab es viel Unterstützung für die Ämter, die aber nach und nach wieder abgezogen wurde. Jetzt kommen wieder andere neue Hilfskräfte wie die Bundeswehr.“
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Diese vielen Helfer müssten nicht nur schnell eingearbeitet werden. „Ich habe auch große Sorge, dass wir bei einer dritten Welle wieder von vorne anfangen, weil strukturell bisher nichts maßgeblich verbessert wurde.“
Teichert warnt auch vor den Auswirkungen der aktuellen Überlastung: Die Amtsärzte könnten andere wichtige Aufgaben längst nicht mehr wahrnehmen. „Alles andere wie Schuleingangsuntersuchungen oder die Überwachung der medizinischen Einrichtungen fällt im Moment flach“, so Teichert.
Betroffene warten Tage auf Nachricht des Gesundheitsamts
Betroffene spüren inzwischen erste Auswirkungen der Belastung in den Ämtern. So dauert es offenbar inzwischen mehrere Tage und in einigen Fällen sogar über eine Woche, bis Kontaktpersonen eines Infizierten überhaupt erst informiert werden und Quarantäne angeordnet werden kann.
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Davon berichtet eine Mülheimerin der Redaktion. Ihr Therapeut aus einer anderen Stadt sei positiv auf das Coronavirus Sars-CoV-2 getestet worden. „Das Ergebnis hat er am Samstag erhalten und auch eine Liste mit Kontaktpersonen seinem zuständigen Gesundheitsamt eingereicht.“ Obwohl die Frau auf dieser Liste als Kontaktperson geführt ist, in der unmittelbarer Nähe des Therapeuten gewesen war und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko für sie bestand, habe das Gesundheitsamt sie bis Dienstagabend nicht informiert. Damit sind wertvolle Tage verstrichen, wenn es um die Eindämmung des Virus geht. „Das kann doch nicht sein“, sagt die 49-Jährige.
Sie hat sich selbst geholfen: Sie hat sich Quarantäne verordnet und hat sich auch selbst darum bemüht, auf eine mögliche Infektion getestet zu werden. Das Ergebnis steht noch aus.
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