Düsseldorf. Eineinhalb Jahre nach dem Kohlekompromiss ist die Leitentscheidung der Landesregierung zur Zukunft der Tagebaue da. Warum kein Frieden einkehrt.
Vom oft bemühten „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ war nicht mehr zu viel zu spüren, als die Landesregierung am Donnerstag überraschend ihre Pläne für den Ausstieg aus der Kohleverstromung präzisierte. Gut eineinhalb Jahre nach dem Kompromissvorschlag einer überparteilichen „Kohlekommission“ hat NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) jetzt dem Landtag den Entwurf seiner Braunkohle-Leitentscheidung vorgelegt. Das ist die neue Rechtsgrundlage für einen deutlich verkleinerten Tagebau im Rheinischen Revier und zugleich Fahrplan für ein Ende dieser schmutzigen Energiequelle bis 2035 - oder allerspätestens 2038.
Folgt man Pinkwart, hat die Landesregierung geliefert: Bis einschließlich 2029 stemmt NRW im bundesweiten Vergleich 70 Prozent aller wegfallenden Braunkohlekapazitäten. In den kommenden zehn Jahren leiste man im Rheinland damit den mit Abstand wichtigsten Beitrag zur CO2-Einsparung. Im Gegensatz zur letzten rot-grünen Leitentscheidung von 2016 lässt Schwarz-Gelb sogar zusätzliche 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle unter der Erde. NRW sei „Vorreiter“ beim Kohle-Ausstieg und beim Erreichen der Klimaziele, obwohl der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie-Verstromung ein Industrieland vor gewaltige Herausforderungen stelle, findet Pinkwart.
Landesregierung verweist auf Verbesserungen für Bürger und Umwelt
Die Grünen und die ihnen nahe stehenden Umweltverbände machen derweil eine völlig andere Rechnung auf: Es sei nicht nachvollziehbar, dass trotz des beschlossenen Kohleausstiegs im Tagebau Garzweiler II noch fünf Dörfer umgesiedelt und weggebaggert werden sollen. Im Kohleausstiegsgesetz des Bundes war für dieses Abbaugebiet eine „energiepolitische Notwendigkeit“ festgeschrieben worden. Die Grünen bezweifeln dies und fordern seit Monaten vom Land ein unabhängiges Gutachten „zu energiewirtschaftlich notwendigen und klimapolitisch verantwortbaren Restkohlebedarfen“. Der Kompromiss der Kohlekommission sei einseitig zu Lasten des Klimaschutzes umgedeutet worden.
Selbst der politisch umkämpfte „Hambacher Forst“, der formal durch die Leitentscheidung nicht mehr angetastet werden soll, sei „aufgrund des nahen Heranrückens des Tagebaus noch lange nicht dauerhaft gesichert“, klagte Grünen-Energieexpertin Wiebke Brems.
Mehr Zeit vor dem Wegbaggern - das tröstet die Dorfbewohner nicht
Die Landesregierung pocht derweil darauf, dass man mit der neuen Leitentscheidung sehr wohl deutliche Verbesserungen für die betroffenen Bewohner im Braunkohle-Revier durchgesetzt habe. So werde die ursprünglich vom Energiekonzern RWE geplante Abbaurichtung umgekehrt, um in Garzweiler zunächst bereits unbewohnte Ortschaften im Süden (Immerath und Lützerath) wegzubaggern. Das soll der Umsiedlung übriger Ortschaften in Erkelenz mehr Zeit verschaffen. Mit rund 80 Prozent der Bewohner seien dort bereits Vereinbarungen über den Verkauf ihrer Häuser getroffen worden. Zudem will Pinkwart insgesamt den Abstand der verbleibenden Wohnsiedlungen zum Tagebaurand von heute 100 bis 300 Meter auf mindestens 400 Meter vergrößern.
Das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ nannte den Entwurf der Leitentscheidung dennoch „eine Katastrophe“ und kündigte Widerstand gegen die Landesregierung und den RWE-Konzern an. Zur Beruhigung der Gemüter scheinen auch nicht die Entscheidungen im Tagebau Hambach beizutragen: Dort soll nicht nur der Hambacher Forst, sondern auch der benachbarte „Merzenicher Erbwald“ und ein weiteres Waldgebiet westlich des FFH-Gebietes „Steinheide“ gerettet werden. Auch die Ortschaft Morschenich bleibt bestehen. Für die Umweltorganisation BUND reicht das alles nicht aus: „Wer den Hambacher Wald dauerhaft erhalten will, darf nicht weiter zulassen, dass RWE bis auf 50 Meter an den Waldrand heranbaggert.“