Dortmund/Düsseldorf. Die Stadt Dortmund wird zum Testfall der Zusammenarbeit von Grünen und CDU. Der SPD droht Sonntag erstmals der Verlust des OB-Amtes in der Stadt.

Nur wenige Tage vor den Oberbürgermeister-Stichwahlen in Nordrhein-Westfalen lässt eine überraschende schwarz-grüne Allianz in Dortmund landesweit aufhorchen. In der „Herzkammer der Sozialdemokratie“, in der die SPD seit dem Zweiten Weltkrieg stets den Chefsessel im Rathaus verteidigen konnte, haben sich die Grünen am Mittwoch klar für den Machtwechsel ausgesprochen. Die Öko-Partei gab eine Wahlempfehlung für den CDU-Oberbürgermeisterkandidaten Andreas Hollstein ab, der sich am Sonntag gegen den SPD-Bewerber Thomas Westphal durchsetzen will. Amtsinhaber Ullrich Sierau (SPD) war nicht erneut angetreten.

Die Grünen hatten bei den Dortmunder Kommunalwahlen vor anderthalb Wochen mit 20 Prozent landesweit ein historisch starkes Ergebnis erzielt und werden nun von Beobachtern als „Königsmacher“ gesehen. Grundlage für die Entscheidung pro Hollstein seien „intensive Gespräche“ und die Vereinbarung konkreter gemeinsamer Projekte zur Umsetzung grüner Ziele mit den Christdemokraten gewesen, teilte der Kreisverband der Grünen mit.

Steag-Beteiligung von Dortmund soll verkauft werden

Für den Fall eines Wahlsiegs soll Dortmund demnach seine umstrittene Beteiligung am Essener Kraftwerkskonzern Steag verkaufen. Zudem werde es keinen weiteren Ausbau des Dortmunder Flughafens geben. Einigkeit erzielten beide Parteien auch in der Planung neuer Radwege und im Kita-Ausbau. Hollstein, der bislang Bürgermeister in Altena ist, gilt als Brückenbauer zu den Grünen.

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In Düsseldorf wird die Dortmunder Entwicklung mit besonderer Spannung verfolgt. Sollte die SPD auch noch den Oberbürgermeister-Posten in ihrer einstigen Hochburg verlieren, dürfte das bundesweit ausstrahlen. Zudem würden schwarz-grüne Gedankenspiele in Land und Bund weiter angefacht. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte bereits den deutlichen Sieg seiner Partei in Essen und die Wiederwahl von Oberbürgermeister Thomas Kufen als Beleg herangezogen, dass sein Landesverband „Großstädte gewinnen kann“ und man im einst „roten“ Ruhrgebiet heute breit verankert sei.

Nach Einschätzung des Parteienforschers Karl-Rudolf Korte hätte der Verlust des Oberbürgermeisteramtes in Dortmund weitreichende Folgen für die SPD. „Es würde die Schockstarre und deprimierende Grundstimmung bei der SPD verstärken“, sagte Korte der WAZ. Umgekehrt fehle der SPD derzeit auf allen Ebenen bundespolitischer Rückenwind.

Schnittmengen zwischen Grünen und CDU

Am Dienstagabend hatten sich die Dortmunder Grünen mit überraschender Deutlichkeit hinter den CDU-Kandidaten für das Amt, Andreas Hollstein, gestellt und eine klare Wahlempfehlung für den derzeitigen Bürgermeister von Altena in der OB-Stichwahl abgeben. Mit nur wenigen Gegenstimmen sprach sich die Mitgliederversammlung des grünen Kreisverbandes für einen engen Schulterschluss mit der Dortmunder CDU aus. Am Mittwoch präsentierten sich Grüne und CDU mit Hollstein bereits einträchtig auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Beide Seiten betonten, es gehe nicht um eine Koalition im klassischen Sinn, sondern eher um eine enge projektbezogene Partnerschaft. Das lässt Spielräume für wechselnde Mehrheiten im Stadtrat. Die Schnittmengen zwischen Grünen und Union seien aber „groß“.

Westphal könnte die Wahl verlieren

Angesichts des Abstimmungsverhaltens im ersten Wahlgang vor zehn Tagen wird am Sonntag jetzt eine Niederlage für SPD-Kandidat Thomas Westphal immer wahrscheinlicher. Der Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung lag im ersten Wahlgang am 13. September zwar zehn Prozentpunkte vor seinem CDU-Herausforderer. Die Grünen wurden in Dortmund mit 25 Prozent aber nach der SPD zweitstärkste Kraft, die grüne OB-Kandidatin Daniela Schneckenburger erreichte als Drittplatzierte knapp 22 Prozent. Beobachter gehen davon aus, dass schon ein breites Votum der grünen Wählerschaft Andreas Hollstein rein rechnerisch zum Sieg verhelfen würde.

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Sollte die grüne Wählerschaft am kommenden Sonntag mehrheitlich der Wahlempfehlung folgen, könnte es also schnell zu Ende gehen mit der SPD-Herrlichkeit in der „Herzkammer der Sozialdemokratie“, wie Dortmund einem alten Herbert-Wehner-Wort folgend immer noch genannt wird.

Schon seit dem Wahlsonntag vor zehn Tagen kursierte in Dortmund die spannende Frage, ob die Grünen eine Wahlempfehlung für die OB-Stichwahl am 27. September geben würden und wenn ja, für wen. Bis noch vor wenigen Jahren wäre diese Frage klar zu Gunsten der SPD beantwortet worden, zumal die Grünen in Dortmund und anderen Ruhrgebietsstädten eher dem linken Spektrum ihrer Partei zuzuordnen sind.

Karten werden in Dortmund neu gemischt

Doch das grüne Votum von Dortmund zeigt, dass die Karten der politischen Landschaft an Rhein und Ruhr derzeit neu gemischt werden. „Unser Wahlziel war, überall so stark zu werden, dass an grünen Themen und Positionen niemand mehr vorbei kommt“, sagte der Grünen-Landeschef Felix Banaszak dieser Zeitung. NRW erlebe gerade einen tiefgreifenden Umbruch im Parteiensystem, so Banaszak. Es gebe nun überall in NRW drei mittelgroße Parteien, die untereinander gesprächsfähig sein müssten. Banaszak: „Wer in einer solchen Situation die Stimmen der grünen Wähler und die Unterstützung der Partei bekommen möchte, muss sich inhaltlich bewegen. Das haben Herr Hollstein und seine Partei offenbar sehr deutlich getan, Herr Westphal und die SPD leider nicht.“ In allen zentralen Konfliktpunkten habe es seitens der SPD kein Entgegenkommen gegeben, so der grüne Ko-Vorsitzende.

SPD reagiert mit Bedauern

Dortmunds SPD reagierte mit Bedauern auf den schwarz-grünen Schulterschluss. „Es ist schade, dass sich die Grünen für den CDU-Kandidaten ausgesprochen haben. Inhaltlich sehe ich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und der SPD“, sagte die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann der WAZ. Die Entscheidung liege am Sonntag ja ohnehin bei den Wählern.

>>> Info:

Auch in Düsseldorf, wo sich CDU-Kandidat Stephan Keller gute Chancen gegen Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) ausrechnet, hoffen die Christdemokraten auf Unterstützung durch Grünen-Wähler. Eine offizielle Wahlempfehlung wie in Dortmund gibt es in der Landeshauptstadt aber nicht. In Wuppertal unterstützt die CDU den Grünen-Kandidaten Uwe Schneidewind. In Aachen und Bonn haben grüne Kandidaten weitere Chancen, erste Oberbürgermeister-Posten in NRW zu erringen.