Düsseldorf. Die Zahl der Suizide in NRW steigt deutlich. Mitarbeiter im Strafvollzug warnen: „Es gibt immer mehr psychisch auffällige Gefangene.“

Die deutliche Zunahme der Suizide in nordrhein-westfälischen Gefängnissen hängt nach Einschätzung von Vollzugsbediensteten mit der steigenden Zahl psychisch auffälliger Gefangener zusammen. „Dieser Zustand ist unerträglich“, sagte Ulrich Biermann, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) in NRW, dieser Redaktion.

Der Strafvollzug müsse sich wegen dieser Entwicklung „ganz anders aufstellen“, warnte Biermann. Justizvollzugsanstalten müssten um- oder neu gebaut werden, um die betroffenen Inhaftieren besser behandeln zu können.

19 Suizide bis Ende September in den Gefängnissen

Laut einem Bericht von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) an den Rechtsausschuss des Landtags steigt im laufenden Jahr die Zahl der Todesfälle und der Suizide in Gefängnissen weit über den Stand der beiden Vorjahre. 41 Todesfälle, darunter 19 Suizide, wurden bis zum 21. September 2020 in den Haftanstalten erfasst. In den Jahren 2018 und 2019 nahmen sich jeweils elf Gefangene das Leben. Die Zahl der Todesfälle lag bei 35 (im Jahr 2019) und 29 (2018).

„Vielleicht spielt bei den Suiziden auch die Coronakrise eine Rolle. Ich halte dies aber für unwahrscheinlich“, sagte Biermann. Oftmals würden schon nach kurzer Haftzeit oder in der U-Haft Suizide verübt. Laut dem NRW-Justizministerium könne ein Zusammenhang mit psychischen Belastungen durch die Coronakrise nur vermutet, nicht aber belegt werden. Derzeit nähmen die psychischen Belastungen durch Corona in der ganzen Gesellschaft zu. Dies könne sich auch auf den Strafvollzug auswirken, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Zum Teil „absolut gewaltbereite“ Inhaftierte

Der BSBD schlägt schon seit längerem Alarm, weil zunehmend Menschen inhaftiert würden, die psychisch labil seien, sei es, weil sie lange Zeit Drogen konsumiert haben, sei es, weil sie an Psychosen leiden. Es handele sich vielfach um „absolut gewaltbereite“ Inhaftierte, so Biermann.

Der Bund der Vollzugsbediensteten hatte bereits im Frühjahr in einer Anhörung im Landtag vor dieser Besorgnis erregenden Entwicklung gewarnt. Die Mitarbeiter im Vollzug würden „auf unbestimmte Zeit mit behandlungsbedürftigen Inhaftierten konfrontiert, für die adäquate Behandlungsoptionen nicht verfügbar sind. Das ist eine Situation, die das Personal psychisch massiv belastet und bis über die Grenzen des Zumutbaren fordert“, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes.

Forderung: Neue Hafthäuser, mehr Fachpersonal

Es müssten dringend neue Hafthäuser eingerichtet und mehr Fachpersonal eingestellt werden, um im Vollzug besser auf die besonderen Probleme psychisch auffälliger Inhaftierter eingehen zu können. Leider habe das Land NRW bisher so gut wie keine Empfehlung des BSBD umgesetzt, sagte der Verbandsvorsitzende.