Essen. Vorsichtige Heimleiter isolieren neue Bewohner, obwohl das nicht zulässig ist. Die NRW-Dialogstelle meldet seit Juni 1200 Hilfsanfragen.

Trotz weitreichender Lockerungen der Corona-Schutzregeln in Pflegeheimen beklagen Angehörige immer noch ein zu strenges Vorgehen einiger Heimbetreiber in NRW. So gebe es in jüngster Zeit vermehrt Beschwerden, dass Pflegebedürftige in Zimmern isoliert würden, wenn sie neu oder wieder in ein Heim aufgenommen werden, berichtet die Landesbehindertenbeauftragte Claudia Middendorf. Dies widerspreche aktuellen Vorgaben und sei nicht zulässig.

„Bei allem Verständnis für die Situation der Heimträger muss es unser Ziel sein, eine soziale Isolation Pflegebedürftiger zu verhindern“, so Middendorf. „Ich weiß aus Erfahrungen im eigenen familiären Umfeld sehr genau, wie belastend die Isolation für die Betroffenen ist. Das ist menschenunwürdig.“

Heim-Träger werben um Verständnis: Für empfindsame Gruppe verantwortlich

In NRW werden Pflegebedürftige zweimal auf eine Infektion mit dem Corona-Virus getestet, wenn sie neu oder nach einem Klinikaufenthalt wieder von einem Pflegeheim aufgenommen werden – 48 Stunden vor dem Einzug und sechs Tage danach. Bis zum zweiten negativen Ergebnis dürfen sich die Betroffenen laut Landesvorgaben frei im Heim bewegen, wenn sie einen Mund-Nasen-Schutz tragen.

Träger werben um Verständnis. Christof Beckmann, Landesvorsitzender des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, verweist darauf, dass bisher ein Drittel aller Corona-Toten Pflegeheimbewohner gewesen seien. „Wir sind für die in dieser Pandemie empfindsamste Gruppe verantwortlich. Da kann es durchaus sein, dass der ein oder andere Heimbetreiber vorsichtiger agiert.“ Konkret seien ihm aber keine Fälle bekannt.

Täglich bis zu 100 Angehörige haben Rat bei der neuen Dialogstelle gesucht

Im Juni haben Middendorf und NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) die neue Dialogstelle eingerichtet, um bei Streitigkeiten um den Corona-Schutz in Heimen zu vermitteln. Bis Ende August sind 1200 Anfragen nach Beratung, Erklärung und Hilfe eingegangen - in der Hochphase gab es täglich bis zu 100. Die Vielzahl der Anfragen habe sie überrascht, so Middendorf.

Die jüngsten Wochen hätten aber gezeigt, dass Angehörige und Heime ein Miteinander gefunden hätten: Es gibt weniger Verbote und weniger Beratungsbedarf und nur noch zehn bis 15 Anfragen. Beendet sei die Arbeit deshalb aber nicht, so Middendorf. „Die Stelle wird so lange bestehen bleiben wie uns das Corona-Virus beschäftigt“, sichert sie zu.

Corona-Regeln: „In den Heimen haben sich Schicksale abgespielt“

Kritik sei gegen alle Träger aufgekommen, häufiger in großen Städten als im ländlichen Raum. Deutlich gezeigt hat sich für die Landesbeauftragte, welche hohe psychische Belastung die zeitweise strengen Besuchsbeschränkungen für Bewohner und Angehörige mit sich gebracht haben. In den Heimen hätten sich Schicksale abgespielt. Einige Bewohner hätten ihre Angehörigen nach der langen Pause vergessen, andere hätten sich zurückgesetzt gefühlt, weil Besuche ausblieben. Es habe auch Fälle gegeben, in denen Kinder nicht darüber informiert worden sind, warum der Pflegegrad ihrer Mutter erhöht worden ist. „Wir haben gespürt, dass insbesondere durch das Nicht-Besuchen eine soziale Isolation und Kälte entstanden ist.“

Landesweite Besuchsverbote für Pflegeheime soll es in NRW nicht mehr geben, betont Middendorf. „Wir müssen regional Lösungen finden und abwägen, wie Infektionsschutz und das Recht auf soziale Teilhabe vereinbart werden kann.“ Eine Chance sieht die Landesbeauftragte auch in der Digitalisierung, um der Kontakt erhalten zu können.