Was ist aus den Corona-Helden geworden? Ein Supermarkt-Kassierer erzählt: Von verärgerten Kunden, Hamsterkäufen, Stress. Und von Dankbarkeit.
Während der Corona-Pandemie sorgen die Mitarbeiter in den Geschäften und Supermärkten für die Versorgung der Menschen. Tägliche haben sie Kontakt zu Hunderten Kunden und sind einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt. In der Zeit der Hamsterkäufe standen die Mitarbeiter unter besonderem Druck. Sie erhielten Applaus von der Politik und von dankbaren Kunden. Was ist davon geblieben? Thomas N. (33) erzählt von seinem Alltag an der Kasse eines Supermarkts in Essen Kettwig:
„Ich arbeite seit sechs Jahren bei der Familie Lenk. Es sind nun insgesamt zehn Jahren bei der Rewe. Zuvor habe ich eine Ausbildung im Verkauf gemacht. Ich arbeite gerne hier, das Team ist gut und der Chef steht hinter uns. Im Monat komme ich auf 172 Stunden, während der Corona-Zeit waren es oft mehr, jedoch haben wir diese Zeit immer bezahlt bekommen. Insgesamt sind wir etwa 55 Mitarbeiter hier im Markt. Ich arbeite an der Kasse, in der Tiefkühlabteilung und im Trockensortiment.
„Bitte nicht füttern“
Als es im März losging mit der Pandemie, haben mir Kollegen ein Schild auf die Plexiglasscheibe an der Kasse geklebt: Bitte nicht füttern. Wir sind ja für jeden Spaß zu haben. Weil viele Menschen traurig waren wegen der schwierigen Zeit, da wollten wir etwas Lustiges machen, sie aufheitern. Es geht ja vielen Menschen nicht so gut in der Corona-Zeit. Wir kennen viele unserer Kunden. Manche davon müssen jeden Einkauf gründlich überdenken, was mich noch nachdenklicher macht und viel Mitgefühl hervorruft. Es gibt aber auch jene die kaufen, worauf sie Hunger und Lust haben und nicht nur das, was sie unbedingt brauchen.
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Zu Beginn der Coronazeit hatten wir auf einmal viel mehr Arbeit, weil wir alles schneller nachpacken mussten als gewöhnlich. Die Leute rissen uns die Sachen ja fast von den Paletten. Aber der Zusammenhalt im Team wurde stärker, die Leute sind zuverlässig, alle haben einen super Einsatz gezeigt. Es gab aber trotzdem Beschwerden der Kunden: Wann kommt das und das? Wieso habt ihr das nicht? Wann kommt das wieder rein? Zum Teil haben sich die beiden Filialen gegenseitig ausgeholfen, denn der eine Markt hatte Artikel, die der andere nicht hatte und umgekehrt.
„Die Leute haben gekauft wie verrückt“
Nudeln, Reis, Mehl, Zucker und vor allem Hefe haben die Leute gekauft wie verrückt. Die müssen gebacken haben, wie in zehn Jahren in der Weihnachtszeit nicht. Unglaublich. Desinfektionsmittel waren ja sofort vergriffen. Und natürlich Toilettenpapier. Einige Kunden haben gesagt, ich kaufe für meine Nachbarn mit ein. Aber jetzt hört man das nicht mehr. Viele Kunden haben sich beschwert, wenn die Regale leer waren. Deswegen haben wir ein Schild an die Regale gemacht: „Liebe Kunden, aus Gründen der Fairness allen anderen gegenüber bitten wir Sie, sich beim Kauf von Reis auf maximal zwei Artikel zu beschränken. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“ Wir wollen ja alle Menschen gleich behandeln. Wenn wir mehr hatten, haben wir auch mehr abgegeben.
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An der Kasse hatte ich dann oft mal Ärger, wenn sie drei oder vier Pakete Klopapier aufs Band legten. Bei einigen Menschen kann ich das aber verstehen mit dem Hamstern. Leute, die vielleicht 75 Jahre alt sind und in der Nachkriegszeit nichts zu essen hatten, da kamen bestimmt die Erinnerungen wieder hoch. Die wollten vorsorgen, das kann ich nachvollziehen. Bei den jungen Leuten fehlt mir aber das Verständnis.
„Einige Kunden brachten Geschenke und Süßigkeiten“
Es gab aber nicht nur verärgerte Kunden, es gab auch Zuspruch. Einige brachten Geschenke, Süßigkeiten oder Getränke – zeitweise war der ganze Tisch im Pausenraum voll. Es gab viele Kunden, die uns ein Dankeschön entgegengebracht haben. Schön, dass Sie da sind, haben sie gesagt. Oder: Gut, dass sie weiter geöffnet haben. Das hat uns schon sehr aufgebaut, das war gut für uns. Die Kunden wollten Dankbarkeit zeigen, dass wir da sind in der schweren Zeit.
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Das ist hier ein Dorf für sich, viele kennen sich im Stadtteil. Das ist wie eine große Gemeinde. Es ist nicht so unpersönlich hier wie in anderen Stadtteilen Essens, wo ich schon gearbeitet habe. Familiär ist vielleicht zu viel gesagt, aber es kommt dem nahe. Und da fallen eben Leute besonders auf, die mehr kaufen als die anderen. Aber es kann auch manchmal etwas mit Angst zu tun haben, vielleicht sind sie normalerweise gar nicht so. Jedenfalls ist das jetzt erstmal vorbei. Die haben das nur in der Corona-Zeit so gemacht mit den Hamsterkäufen.
„Dagegen war Weihnachten Pillepalle“
Die beste Erfahrung in dieser Zeit war, dass man wusste, dass man seinen Arbeitsplatz sicher hat. Dass man sich keine Sorgen machen musste, seine Ausgaben nicht bezahlen zu können. Wir haben sogar einen sehr großzügigen Bonus von der Betreiberfamilie bekommen. Das war überdurchschnittlich. Das Schlimmste war der ganze Stress in der Zeit. Die alltäglichen Aufgaben haben wir ja kaum noch geschafft. Wir mussten umräumen, auszeichnen, sortieren und nachkontrollieren, was da war und was fehlte. Und der Stress an der Kasse war schlimm, wenn Leute zum Teil durchgedreht sind. Dagegen war Weihnachten und Ostern nix. Pillepalle.
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Ich hoffe, dass sowas nicht wiederkommt. Doch wenn ich sehe, was an den Badeseen und Stränden los ist, dann habe ich meine Zweifel. Wahrscheinlich haben die Menschen daraus nichts gelernt. Über Vernunft kommt man nicht weiter. Man muss ihnen ans Geld gehen und hohe Strafen für die verhängen, die sich nicht an die Regeln halten. Und das Geld sollte man dann denen geben, denen es durch Corona schlecht geht.
„Die Leute sollten vernünftiger werden“
Ich würde mir für eine mögliche nächste Welle wünschen, dass die Leute vernünftiger werden. Es gibt ja alles. Es gibt keine Versorgungsprobleme. Ob man mal statt Spaghetti- nur Fussilli-Nudeln bekommt, ist doch nicht schlimm. Was ich gut finde, ist, dass Menschen, die ich nicht kenne, mir nicht mehr so nah kommen und Abstand halten.
Ich möchte jedenfalls weiter hier arbeiten, mal schauen, wohin mich mein Weg führt. Ich denke, wer gut arbeitet, der wird auch weiterkommen. So wie es ist, bin ich zufrieden. Aber klar, es geht immer noch ein bisschen besser.“
>>>> Berufe im Einzelhandel
Bundesweit arbeiten mehr als drei Millionen Menschen im Einzelhandel (Stichtag 31.12.2019). Davon waren im Juni 2020 rund 400.000 Personen in Kurzarbeit. Die Tendenz ist rückläufig, im Mai waren es noch knapp 700.000. Die Anzahl der Minijobber blieb etwa konstant, teilt der Handelsverband Deutschland (HDE) mit.
Laut HDE bildet der Einzelhandel in über 60 dualen Berufsgängen aus. Neben einer zweijährigen Verkäufer-Ausbildung gibt es dreijährige Ausbildungen zum Kaufmann/Kauffrau, die Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk sowie zum Fleischer. Das dreijährige Abiturientenprogramm führt zum Handelsfachwirt.
Das Gehalt eines Vollzeitbeschäftigten beträgt nach Angaben des HDE im Schnitt 3.084 Euro. Bei 170 Arbeitsstunden im Monat entspreche dies einem Stundenlohn von 18,14 Euro. Das Entgelt in der wichtigsten Tarifgruppe Verkauf beträgt demnach in der Endstufe rund 2500 Euro. Gezahlt werden 13,25 Tarifgehälter.