Düsseldorf. Die Zahl der Corona-Infektionen ist zuletzt in NRW deutlich stärker als im Bundesschnitt gestiegen. Ein Virologe erklärt, woran das liegt.
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Nordrhein-Westfalen bereitet den Behörden zunehmend Sorgen. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch bundesweit 1226 neue Ansteckungen, wovon allein 413 – rund ein Drittel – in NRW registriert wurden.
Damit ist die Lage an Rhein und Ruhr so negativ wie seit Ende April nicht mehr. Bei den Covid 19-Fällen pro 100.000 Einwohner steht NRW zwar weiterhin vergleichsweise gut da, doch die Entwicklung im jüngsten Sieben-Tage-Zeitraum ist deutlich schlechter als im Rest der Republik. Gab es in NRW Mitte Juli noch 2000 „aktive“ Corona-Fälle in NRW, so sind es inzwischen wieder 4000.
Jede vierte Neuinfektion bei Reiserückkehrern festgestellt
Die hohen Neuinfektionen in NRW sind laut Gesundheitsministerium zu etwa 25 bis 30 Prozent auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Zudem gilt die Ansteckungsgefahr in Ballungsräumen mit hoher Einwohnerdichte wie im Ruhrgebiet als deutlich größer. Die stark ausgeweiteten Corona-Tests sollen sich ebenfalls in den erhöhten Infektionszahlen niedergeschlagen haben.
Experten warnen vor exponentiellem Wachstum
Experten warnen davor, dass das derzeit noch lineare Wachstum der Infektionszahlen schnell in ein exponentielles wie im März umschlagen könnte. Erneute Kontaktbeschränkungen für die Bürger oder das Verbot von Freizeitaktivitäten könnten dann die Folge sein. Eine erneute flächendeckende Schul- und Kita-Schließung gilt dagegen als unwahrscheinlich.
Bisher haben sich anfängliche Vermutungen, Kitas und Schulen könnten sich als „Superspreader“ der Pandemie erweisen, nicht bestätigt. Der deutschlandweit einzige Landkreis, der den Bund-Länder-Grenzwert für behördliche Gegenmaßnahmen von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche überschreitet, ist weiterhin Dingolfing-Landau in Bayern.
So erklärt Virologe Dittmer die hohen Corona-Infektionszahlen in NRW
Prof. Ulf Dittmer, Virologe der Uniklinik Essen, sieht drei Faktoren, die die hohen Zahlen in NRW begünstigen: „Wir sind einfach ein Ballungsraum mit vielen großen Städten“, erklärt er. „Als zweites Problem kommt hinzu: Das Virus ist ein Virus der sozial schwächeren Schichten geworden. Wir haben deutlich mehr Personen, die in prekäreren Wohnverhältnissen wohnen als in Stuttgart oder München. Je enger die Wohnung und je mehr Personen darin wohnen, desto größer ist das Ansteckungsrisiko. Auch Großfamilien spielen dabei eine Rolle.“
Das Verhalten spiele jedoch ebenfalls eine Rolle, so Dittmer: „Die Menschen zwischen 15 und 35 Jahren machen einen Hauptteil der Neuinfektionen aus. Und die tragen es wiederum hinein in die Familien. Man muss aber auch ein bisschen Verständnis haben für den biologischen Drang: Es fällt gerade jungen Leuten extrem schwer, über eine längere Zeit den Kontakt zu Gleichaltrigen zu meiden. Das ist evolutionär bedingt und hormongesteuert - aber in NRW genauso wie in Bayern oder anderswo.“
Laschet appelliert: Abstands- und Hygieneregeln ernst nehmen!
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat an die Bürger appelliert, Abstands- und Hygieneregeln weiter ernst zu nehmen. Bislang kommt das NRW-Gesundheitssystem ausweislich der täglichen Betten-Statistik noch gut mit den wieder steigenden Corona-Zahlen zurecht. Experten führen das darauf zurück, dass offenbar vermehrt jüngere Menschen mit nur milden Krankheitsverläufen positiv getestet werden.
Die Landesregierung hatte am Dienstag sämtliche Corona-Verordnungen bis Ende August verlängert und zum Teil verschärft. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich in den vergangenen Tagen besorgt über die Entwicklung geäußert und die Bürger gemahnt, weiter die Abstands- und Hygienemaßnahmen einzuhalten.
Als einziges Bundesland startete NRW am Mittwoch mit Maskenpflicht auch im Unterricht ins neue Schuljahr. Ausgenommen sind nur die Grund- und Förderschüler der Primarstufe. Aber auch sie müssen auf den Fluren und dem sonstigen Schulgelände Masken tragen. (mit dpa)