Athen. Wie der NRW-Ministerpräsident nach einem katastrophalen K-Frage-Sommer in Griechenland zu Themen zurückkehrt, die ihn ausmachen.

Als Armin Laschet am Montagmorgen die „Villa Maximos“ betritt, den Amtssitz des griechischen Premierministers mitten in Athen, liegt die Antwort auf viele Fragen buchstäblich auf dem Tisch. Im prunkvollen Arbeitstrakt des Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis findet sich zwischen Ölgemälden und neoklassizistischen Ornamenten als Tischschmuck eine kleine Marmortafel. Darin eingestanzt ein Sokrates-Zitat: Know thyself. Erkenne Dich selbst.

NRW-Ministerpräsident Laschet ist nach einem Sommer des Missvergnügens wohl genau dafür nach Griechenland gereist. Mit allerlei Ungeschicklichkeiten und Kommunikationspannen hat sich der 59-jährige CDU-Politiker in fünf Monaten Corona-Krise schwer geschadet. Obwohl NRW besser durch die Pandemie gekommen ist als andere Bundesländer, wurde Laschet als fahrig und wenig führungsstark wahrgenommen. Miserable Umfragewerte und ein vielstimmiger Berliner Abgesang auf seine Ambitionen auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur waren die Folge.

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In Griechenland scheint Laschet nun wieder zu sich selbst finden zu wollen. Raus aus dem unausgesprochenen Fernduell mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder in der K-Frage, weg von der Dauerdebatte über Corona-Infektionszahlen und Lockerungsschritte. Als überzeugter Europäer aus dem Aachener Drei-Länder-Eck ist der ehemalige EU-Abgeordnete Laschet hier ganz bei sich; als letzter Verteidiger der humanitären Merkelschen Flüchtlingspolitik musste er sich - anders als Söder – seit 2015 nie korrigieren.

Griechenland empfängt Laschet mit großem protokollarischen Besteck

Die griechische Regierung empfängt Laschet mit großem protokollarischen Besteck. Premier Mitsotakis nimmt sich für ihn fast drei Stunden Zeit – inklusive Vier-Augen-Gespräch auf der Dachterrasse des Hotels „Grande Bretagne“ mit Blick auf die Akropolis. Mit Blaulicht-Eskorte wird Laschet durch die sengende Hitze chauffiert. Man ist in Athen dankbar, dass sich wenigstens ein deutscher Spitzenpolitiker mitten in der Corona-Krise noch für das Flüchtlingselend auf den griechischen Inseln interessiert.

„Meine Botschaft ist: Die Flüchtlinge betreten griechischen Boden, sie betreten aber auch europäischen Boden. Deshalb lässt sich diese Krise nur gemeinsam europäisch lösen“, sagt Laschet. Wenn in Griechenland die EU-Außengrenze geschützt und humanitäre Hilfe gesichert werde, „dann ist auch für Europa Ordnung hergestellt“. Der NRW-Ministerpräsident wird am Dienstag auf Lesbos zwei Flüchtlingslager besuchen. Die Vorzeige-Einrichtung „Kara Tepe“, die von offiziellen Stellen gern für ausländische Medien hergezeigt wird. Aber auch das Elendscamp „Moria“, das mit fast 15.000 Flüchtlingen, Dreck und Gewalt Europas schlimmster Hinterhof ist. Auf dem ehemaligen Militärgelände in der nördlichen Ägäis lässt sich studieren, wie schlecht das EU-Türkei-Abkommen bei der Flüchtlingsrückführung in Wahrheit funktioniert.

NRW will zusätzliche Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen

NRW will als Teil der „Koalition der Willigen“ weitere 220 Kinder und ihre Angehörigen aus den Lagern aufnehmen. „Wir dürfen trotz der aktuellen Herausforderung in der Corona-Krise nicht die notleidenden Menschen in den Flüchtlingslagern vergessen“, findet Laschet. Obwohl er ahnen dürfte, dass auch in seiner C-Partei CDU die meisten gerade froh sind, dass dieses Elend heute weit weg wirkt. Laschet betont, dass er seine Initiative als Teil der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sieht und „im Vorfeld“ mit der Kanzlerin und Innenminister Horst Seehofer (CSU) über seine Reise gesprochen habe.

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Mitsotakis, der Griechenland überraschend gut durch die Corona-Krise manövriert hat, nimmt ebenso zur Kenntnis, dass sein Gast sich das Gerede über die „Pleite-Griechen“ ausdrücklich nicht zu eigen macht: „Es ist gut, dass Griechenland Mitglied der Wirtschafts- und Währungsunion ist. Das war ein schwerer Kampf“, sagt Laschet. Es ist ein kleiner Gruß an CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble, der 2015 schon den Daumen gesenkt hatte („Isch over“).

Allen Spekulationen zum Trotz scheint Laschet weiter Spahn zu vertrauen

Laschet hat während seines Urlaubs am Bodensee wahrgenommen, wie er immerzu als politischer Leichtfuß beschrieben wurde, während CSU-Kollege Söder zum Erbfolger der Kanzlerin im Spiegelsaal von Herrenchiemsee aufstieg. Wenn ihn so etwas ärgern sollte, lässt er es sich nicht anmerken. Laschet wirkt in Griechenland fatalistisch-fröhlich und entschlossen, bis zum CDU-Bundesparteitag im Dezember durchzuziehen. Allen Spekulationen über einen Rollentausch mit seinem Tandem-Partner Jens Spahn zum Trotz. Laschet scheint dem fast 20 Jahre jüngeren Bundesgesundheitsminister vollauf zu vertrauen, dass der ihn weiterhin als sein Vize-Kandidat unterstützen wird. Die Griechenland-Reise soll wohl noch einmal die komplette Angebotspalette zeigen: Laschet ist der, der mal als Mann für Merkels „Weiter so“ galt.

In Athen wird zugleich deutlich, warum der NRW-Regierungschef so schwache Umfragewerte hat. Er kann sich und seine Anliegen schlecht vermitteln. Auf Bilder und Botschaften wird in Laschets Umfeld erschreckend wenig Wert gelegt. Als 2017 der bayerische Finanzminister Markus Söder Griechenland besuchte, ließ er sich eigens hoch zur Akropolis fahren - und dort breitschultrig ablichten.