Dortmund/Hagen. . Sie waren die Helden der Corona-Krise. Eine Altenpflegerin erzählt, was geblieben ist: von Minutenpflege und ihrem ersten Lob eines Fremden.

Sie kümmern sich um diejenigen, die in der Corona-Pandemie besonders gefährdet sind: In NRW pflegen und betreuen über 260.000 Beschäftigte pflegebedürftige Menschen. Sie versorgen in den Heimen oft Schwerkranke, pflegen Senioren zu Hause und haben dafür in der Corona-Krise eine seltene Aufmerksamkeit erfahren.

Vivien Novy ist eine der Fachkräfte. Die 26-Jährige arbeitet seit sechs Jahren in der Pflege, seit 2018 im ambulanten Pflegedienst ihrer Eltern, wo sie auch schwerstkranke Menschen palliativ begleitet. 75 Mitarbeiter versorgen 1000 Patienten in Dortmund und Hagen. Die Corona-Krise ist für sie nicht vorbei.

„Ich hätte Medizin studieren können, den Studienplatz hatte ich schon. Ich habe mich aber dagegen entschieden und habe stattdessen Pflege studiert. Das haben die wenigsten verstanden, aber mir ging es immer darum, näher an Menschen zu sein und sie langfristig begleiten zu können. In der Pandemie habe ich zum ersten Mal von Fremden Lob für meine Arbeit erhalten. Man hat mich mal im Supermarkt angesprochen, ich trug meine Arbeitskleidung. Ganz ehrlich? Ich fand all das, diesen Applaus, lächerlich.

In der Altenpflege haben wir immer wieder mit Keimen und Viren zu tun, die potenziell gefährlich und tödlich für unsere Patienten sind. Wir haben gelernt, wie wir die Pflegebedürftigen und uns schützen. Das gilt immer und nicht nur wegen Corona.

700 Prozent Preisaufschlag für Schutzausrüstung

In den vergangenen Wochen habe ich zwei Welten erlebt, die der Politik, die uns applaudierte, und die Wirklichkeit, in der uns immer neue Steine in den Weg geräumt wurden. Zum Beispiel bei der Schutzausrüstung. Da wurden ambulante Dienste vergessen. Wir mussten uns bei Preisaufschlägen von bis zu 700 Prozent selbst eindecken, erstattet wurde uns das nicht. Hilfen sind erst seit Juli aktiv, bis sie ausgezahlt werden, dauert es noch.

Vivien Novy.
Vivien Novy. © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Gerade am Anfang habe ich viel gegen die Panik im Team gekämpft. Wir hatten ja nur dürftige Informationen zum Virus, das hat anfangs verunsichert. Kollegen haben mich auch nachts um zwei Uhr wegen eines Hustens angerufen. Da muss man viel reden, Angst nehmen, so gut es geht. Schwierig war es auch mit einigen Angehörigen. Man hat uns abgesagt, uns auch untersagt, die Wohnungen unserer Patienten zu betreten und unsere Arbeit zu machen. Das frustriert nicht nur, es ist auch gefährlich. Zu unseren Aufgaben gehört es, Patienten ihre Medikamente zu geben. Wenn wir die nur an der Haustüre abgeben, handeln wir gegen ärztliche Anordnungen. Und die Angst, dass jemand eine Überdosis oder keine Medikamente nimmt, begleitet uns bis nach Feierabend.

Patienten wurden manchmal regelrecht entmündigt. Einmal hat sich die Enkelin einer Seniorin bei uns mit einem saftigen Brief beschwert, weil eine Kollegin mit der Dame einen Kaffee getrunken hat - mit Abstand. Die Enkelin hat ihrer Oma so ein schlechtes Gewissen gemacht, dass die Dame beim nächsten Besuch geweint hat.

20,84 Euro und 25 Minuten Zeit fürs Waschen

Das geht gegen alles, was wir als Pflege sehen. Dazu zählt eben nicht nur, dass wir Patienten waschen oder so. Wir sind manchmal die einzigen Besucher unserer Patienten am ganzen Tag, wir betreuen und versorgen sie und wir erfüllen eine wichtige soziale Aufgabe. Das wurde lange nicht anerkannt und ich habe das Gefühl, das ändert sich nur langsam. Ich wünsche mir manchmal mehr Vertrauen von Angehörigen. Wir wollen mit ihnen zusammen arbeiten.

Reden wir übers Geld. Jetzt soll es den Pflegebonus für die Altenpflege geben. Zum einen finde ich es falsch, dass die Krankenpflege davon nicht profitiert. Das hilft uns nicht, damit die Pflege als generalistische Berufsgruppe anerkannt wird. Viel ändern wird der Bonus an unserer Ausgangslage außerdem nicht. Wir brauchen insgesamt mehr Geld für die Pflege. Wir verhandeln mit den Pflegekassen manchmal um Cent-Beträge für unsere Arbeit, das ist entwürdigend und frustrierend. Wenn wir einen Pflegebedürftigen von Kopf bis Fuß waschen, bekomme ich dafür 20,84 Euro von der Pflegekasse. Ich muss aber in 25 Minuten fertig sein. Also 25 Minuten für ankommen, sich entkleiden, duschen, wieder anziehen, Haare föhnen. Und das mit einem Menschen, der nicht immer so kann wie er will. Pflege ist keine Fließbandarbeit, wir wollen Zeit mit unseren Patienten verbringen können. Um das zu ermöglichen, bräuchte es mehr als einen Bonus.

Die Anerkennung für den Altenpflegeberuf kommt noch von außen

Es ist immer schön, wenn Politiker fordern, dass Pflegekräfte mehr Lohn kriegen sollen. Wie soll das für Unternehmen unter diesen Umständen klappen? Bei unserem Pflegedienst liegt das Gehalt laut Gehaltsgefüge im Mittelfeld, wir machen aber viel über Zusatzleistungen wie kostenlose Massagen, Gesundheitsleistungen, eine private Krankenversicherung. Mehr ginge nicht. Wir berechnen unseren Patienten eine Anfahrtspauschale von unter zehn Euro – dafür nehmen Handwerksbetriebe nicht mal den Telefonhörer in die Hand.

An den Rahmenbedingungen unserer Arbeit hat sich bisher nichts Grundsätzliches geändert. Es gab einige Entlastungen, zum Beispiel hat der Gesetzgeber bis September sonst regelmäßige Überprüfungen ausgesetzt. Außerdem durften Pflegehelfer zeitweise mehr Aufgaben übernehmen, um die examinierten Kräfte zu entlasten. Beides hat uns geholfen. Das Lob von außen ist leiser geworden, so langsam sind wir nicht mehr im Fokus. Die Anerkennung, die ich brauche, bekomme ich auch nicht von außen. Sondern von unseren Patienten: wenn sie Geschichten erzählen und mich so an ihrem Leben teilhaben lassen.“

Stephanie Weltmann protokollierte das Gespräch.

>> Neue Ausbildung soll Beruf attraktiver machen

Um den Beruf der Altenpflege attraktiver zu machen, wurde die Ausbildung zum 1. Januar 2020 mit der zur Kinderkranken- und Krankenpflegekraft zusammengeschlossen. Pflegeschüler werden nun zwei Jahren zusammen ausgebildet, eh sie sich spezialisieren. Schuldgeld zahlen sie nicht. Ihre Ausbildungsvergütung wird in NRW durch einen Ausbildungsfonds finanziert, in den alle Pflegeeinrichtungen einzahlen.

Voraussetzung für die Ausbildung ist die mittlere Reife und unter bestimmten Voraussetzungen der Hauptschulabschluss. Laut Arbeitsagentur verdienen Pflegeschüler etwa 1140 Euro, nach der Ausbildung bis zu 3400 Euro brutto. Die Höhe hängt auch davon ab, ob eine Tarifbindung gilt. Im Juli ist der Mindestlohn in der Altenpflege von 11,35 auf 11,60 Euro angehoben worden.