Düsseldorf. Der Bundesinnenminister hält eine Rassismus-Studie bei der Polizei nicht für sinnvoll. Bei den Polizei-Verbänden gehen die Meinungen auseinander.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Gibt es strukturellen Rassismus bei der Polizei? Eine Studie sollte darüber Aufschluss geben.
  • Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnen eine solche Studie ab.
  • Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und Antidiskriminierungsstellen würde die Studie begrüßen.
  • Laut dem Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist Racial Profiling das häufigste Diskriminierungsmuster bei Polizei und Justiz.

In der NRW-Polizei ist ein heftiger Streit um das so genannte Racial Profiling, also die polizeiliche Kontrolle von Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale ohne konkreten Anlass, ausgebrochen. Während Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), auf eine wissenschaftliche Studie zu Rassismus in der Polizei dringt, lehnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) so eine Forschungsarbeit vehement ab.

„Eine solche Studie hat den Anschein, dass damit die Kolleginnen und Kollegen zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt werden“, sagte Michael Maatz, stellvertretender Chef der GdP in NRW. Es gebe kein Rassismus-Problem bei der NRW-Polizei, sondern nur „bedauerliche Einzelfälle“.

Grüne Bundestagsfraktion beharrt auf Untersuchung zu rassistischen Kontrollen

Sebastian Fiedler sieht in einer Studie aber eine „vertrauensbildende Maßnahme“. Immer wenn Polizeibeamte im Dienst seien, „beurteilen sie zuerst die Lage und gucken dann, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen“, sagte Fiedler dieser Redaktion. „Ich verstehe nicht, warum wir in diesem Fall, in dem es um uns selbst geht, anders vorgehen sollten.“ Es gelte, das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zu stärken.

Die Bundesregierung hatte auf Empfehlung der EU zunächst eine Studie geplant, dann aber darauf verzichtet, weil Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sie nicht für sinnvoll hält. Die Grünen-Bundestagsfraktion beantragt nun Untersuchungen zu „verfassungsfeindlichen Tendenzen“ in der Polizei. Irene Mihalic, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Gelsenkirchen mit langjähriger Erfahrung im Polizeidienst, sagte, eine Studie zum Racial Profiling liege „im Interesse der vielen Polizistinnen und Polizisten, die gewissenhaft und vorurteilsfrei ihren Dienst tun“.

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wollte sich nicht dazu äußern. Das Ministerium betonte aber, dass Fremdenfeindlichkeit in der Polizei nicht geduldet werde. Bei der Auswahl und Ausbildung von Polizeianwärtern werde auf Verfassungstreue geachtet. Alle 50 Polizeibehörden in NRW würden mit Extremismusbeauftragten besetzt.

Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern mehr Klarheit über rassistische Tendenzen in der Polizei. Es brauche eine Studie, um die Datenlage zu erfassen, zudem unabhängige Beratungsstellen und Sanktionsmöglichkeiten. Maria Scharlau, Völkerrechtsexpertin bei Amnesty International in Deutschland, warnt vor den Folgen eines Wegschauens: „Wie soll die Polizei Opfer rassistischer Übergriffe beschützen, wenn sie sich nicht gegen Rassismus in den eigenen Reihen wappnet?“

Im Detail:

Was ist Racial Profiling?

Das sind anlasslose Personenkontrollen der Polizei aufgrund äußerer Merkmale, zum Beispiel der Hautfarbe. Dieses Vorgehen ist verboten. In Deutschland darf laut Artikel 3 des Grundgesetzes niemand wegen seiner Abstammung, Sprache oder Herkunft benachteiligt werden. Die Polizei darf nur „anlassbezogen“ Personen überprüfen. Zum Beispiel anhand einer Täterbeschreibung oder an Orten, an denen oft Straftaten begangen werden. Viele Kontrollierte glauben allerdings, dass allein ihr Aussehen den Anlass zur Kontrolle gab.

Das NRW-Innenministerium versichert, Kontrollen beruhten immer auf „Tatsachen, polizeilichem Fachwissen und Ermittlungs-Erkenntnissen“. Polizisten kontrollierten nie anlasslos.

Tritt Racial Profiling trotzdem auf?

Laut dem Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist Racial Profiling das häufigste Diskriminierungsmuster bei Polizei und Justiz. Beim Anti-Rassismus Informations-Centrum in Duisburg sind im ersten Halbjahr 2020 acht Fälle dokumentiert worden – landesweit gibt es zwölf weitere solcher Beratungsstellen. Das Dunkelfeld ist groß, heißt es, denn gerade Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus trauten sich oft nicht, Konflikte bekannt zu machen.

Diskriminierungsvorwürfe gegen die NRW-Polizei sind nicht selten. 2017, ein Jahr nach der Kölner Silvesternacht, hat die dortige Polizei Hunderte Männer kontrolliert, die „nordafrikanisch“ ausgesehen haben sollen. Die Behörde nannte sie „Nafris“ und musste sich entschuldigen. Die Essener Polizei sah sich Anfang 2020 mit dem Vorwurf konfrontiert, im Stadtteil Altendorf „rassistische Kontrollen“ durchzuführen. Die Behörde erstattete Strafanzeige wegen der Behauptung.

Warum hält der Kripo-Bund BDK eine Studie für nötig?

Um Vertrauen zu schaffen, sagt Sebastian Fiedler, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er plädiert für eine Studie, die über die Anforderungen der EU hinausgeht und anonym die Einstellungen bei deutschen Sicherheitsbehörden zu Rassismus und Rechtsextremismus abfragt. Fiedler: „Ich erwarte substantielle Ergebnisse, damit wir nicht mehr über Eindrücke, Gefühle und Einzelfälle sprechen, sondern eine klare Grundlage haben.“

Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. © dpa | Rolf Vennenbernd

Rechte Tendenzen in der Polizei haben oft Schlagzeilen gemacht. 2019 war einem Ex-SEK-Mann nachgewiesen worden, Mitglied der rechten „Nordkreuz“-Gruppe zu sein und 1500 Schuss Munition gehortet zu haben. Bei der Polizei Hamm arbeitete ein Mann, der auf seinem Balkon die Reichskriegsflagge gehisst und im Dienst Kleidung der rechten Szene getragen hatte.

Was entgegnet die GdP?

Die Polizei habe kein Rassismusproblem, so Michael Maatz, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW: „Ich blicke auf 40 Dienstjahre zurück, und ich kann versichern, dass die Polizei Menschen nur anlassbezogen kontrolliert und nicht, weil sie möglicherweise einen Migrationshintergund haben. Artikel 3 des Grundgesetzes wird von der Polizei beachtet.“ Jede Kontrolle könne auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Eine Studie zu Racial Profiling stelle Polizisten unter Generalverdacht.

Was fordern die Grünen?

Irene Mihalic, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Polizistin, sagt, es gebe „leider zu viele Einzelfälle in der Polizei mit Rassismus-Bezug“. Die Polizei sei nicht abgekoppelt von den gesellschaftlichen Entwicklungen, und in der Gesellschaft nehme Rassismus zu. Umso wichtiger sei es, dies bei der Polizei zu überprüfen und nicht so zu tun, „als gebe es keine Probleme“. Die große Mehrheit der Polizisten arbeite vorurteilsfrei. Eine Studie über Racial Profiling liege im Interesse dieser Beamten.

Was fordern zivilgesellschaftliche Organisationen?

Unterstützung für Betroffene, sagt Gülgün Teyhani. Die stellvertretende Chefin des Anti-Rassismus Informations-Centrums in Duisburg kritisiert, dass unabhängige Beschwerdestellen und Sanktionsmöglichkeiten gegen diskriminierende Beamte fehlten. Seit Jahren kämpften Antidiskriminierungsbüros dafür, dass ihre Kontaktdaten auf der Internetseite des Innenministeriums verlinkt würden. „Die Beratungsangebote werden nicht einmal bekannt gemacht.“

Für Maria Scharlau von Amnesty International Deutschland ist Racial Profiling Ausdruck von institutionellem Rassismus. „Es geht nicht darum, dass einzelne Polizisten rassistisch denken oder handeln.“ Aber in ihrem Verhalten drückten sich unbewusst rassistische Stereotype aus. Dazu gehöre die Vorstellung, dass man jemandem ansehen könne, ob er deutsch oder illegal nach Deutschland eingereist ist. „Beamte müssen intensiver geschult werden, damit ihnen klar ist, welche Wirkung ihr Verhalten hat.