Essen. Forscher retteten in der Corona-Pandemie unzählige Menschenleben. Was bedeutet diese Erfahrung für die weit größere Krise, den Klimawandel?

Wenn es eine Lehre gibt aus der Corona-Pandemie, dann ist es diese: Wissenschaft rettet Leben. Populismus bringt Menschen um.

Während die Politik das Land Dank wissenschaftlicher Beratung durch Virologen und Epidemiologen vergleichsweise gut durch die Krise steuert, gehen in Ländern, deren Führer auf wissenschaftliche Expertise pfeifen, die Infektions- und Todeszahlen durch die Decke. Die große Frage ist: Was bedeutet diese Erkenntnis für die Zukunft? Lernt die Politik, die Wissenschaft stärker in ihre Entscheidungen einzubinden und die bewiesene Disziplin der Menschen auch in anderen Notzeiten zu nutzen? Kann das eine Lehre sein für eine weit bedrohlichere Weltkrise: den Klimawandel?

Politik und Wissenschaft – zwei Welten

Das Virus hat die Welt in einem Tempo verändert, das vor wenigen Monaten unvorstellbar schien. Der Klimawandel bewirkt ähnliches, nur sehr viel langsamer. Doch anders als bei der Pandemie können wir dabei nicht auf einen Impfstoff hoffen. Während in Deutschland ein halbes Dutzend Virologen die Politik binnen Wochen zu drastischen Einschnitten veranlasste, vermochten Tausende Klimaforscher es über Jahrzehnte nicht, eine globale und schlüssige Klimapolitik anzustoßen.

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Schlägt nun also endlich die Stunde der Wissenschaft? Um diese Frage zu beantworten, muss man verstehen, dass Politik und Wissenschaft zwei Bereiche sind, die sehr verschieden funktionieren. Die Politik denkt kurzfristig, will pragmatische Lösungen, muss sich Mehrheiten suchen und schaut meist nur bis zur nächsten Wahl. Wissenschaftler denken in langen Zeiträumen. Sie bieten keine letztgültigen Wahrheiten an, sondern stellen nur das derzeit vorhandene Wissen bereit, und das kann, wie sich in der Pandemie zeigte, schon nach Tagen durch neue Erkenntnisse überholt werden.

Regierung stützt sich auf Autorität der Forscher

Für die Wissenschaft ist eine unklare Datenlage ein Anreiz, weiter zu forschen. Ein Irrtum kann korrigiert werden. Die Politik aber hat in der Corona-Pandemie keine Zeit. Irrtümer sind nicht gestattet, denn das kann Leben kosten. Kurz: Die Wissenschaft muss erklären, die Politik handeln.

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck erstellte für die Landesregierung eine Studie zur Verbreitung des Virus’ im KLreis Heinsberg.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck erstellte für die Landesregierung eine Studie zur Verbreitung des Virus’ im KLreis Heinsberg. © dpa | Foto: Federico Gambarini

Zu Beginn der Krise kam keine Pressekonferenz der Bundesregierung ohne den Virologen Christian Drosten oder den Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler aus. „Angesichts der sehr einschneidenden Maßnahmen hat die Politik gegenüber der Bevölkerung ein enormes Legitimationsbedürfnis“, sagt der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart dieser Redaktion. Die Regierung sucht den Rückhalt der Bürger und stützt sich dabei auf die Autorität der Forscher.

„Klimawandel ist die größere Bedrohung“

Nicht selten aber wird missbraucht, um politische Entscheidungen zu legitimieren, die man ohnehin getroffen hätte. So erging es wohl auch dem Bonner Virologen Streeck mit Armin Laschet. Dadurch wird Wissenschaft vor den politischen Karren gespannt. „Umgekehrt hat die Ernsthaftigkeit der akuten Bedrohung den Experten auch mehr politisches Gewicht verliehen“, so Weingart.

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Hier zeigt sich ein auffälliger Unterschied zur Klimakrise. Jahrelang wurden Klimaforscher und Meteorologen als Scharlatane verunglimpft, deren Berechnungen und Kurven nicht zu trauen sei und die mit nicht bewiesenen Behauptungen der ganzen Welt eine andere Lebensweise vorschreiben wollen. Bis die Forschung Anerkennung fand, mussten die Wissenschaftler jahrzehntelange Auseinandersetzungen und Kämpfe austragen – bis heute. „Dabei ist der Klimawandel die viel größere Bedrohung als die Pandemie“, sagt Weingart. Doch die Gefahr sei abstrakter und nicht unmittelbar.

Gutes Zusammenspiel während der Pandemie

Vielleicht, so seine Hoffnung, lernt die Bevölkerung aus der Krise, der Wissenschaft größeres Vertrauen entgegenzubringen, die Redlichkeit der Klimaforscher ebenso vorauszusetzen wie die der Virologen während der Pandemie. Und womöglich lernt die Politik aus der Disziplin der Menschen, mit der sie die Corona-Pandemie durchgestanden haben, dass sie ihnen auch mehr Wahrheit und Anstrengung zumuten kann, um die Klimakrise zu meistern. Voraussetzung dafür ist, dass die Wissenschaft stets deutlich macht, was sie weiß – und was sie noch nicht weiß. „Drosten macht das vorbildlich“, findet Peter Weingart. „Er erklärt seine Forschung, weist auf offenen Fragen und Zweifel hin. So kann man von Wissenschaft lernen.“

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Bei allen Unterschieden von Wissenschaft und Politik hätten die beiden Systeme in den letzten Wochen sehr gut zusammengespielt, meint Wolfgang Rohe, Leiter des Ressorts Wissenschaft bei der Stiftung Mercator. „Wir haben gelernt, dass sich die Politik auf die Wissenschaft stützen kann. Und die Menschen sind aufmerksamer dafür geworden, was Wissenschaft für ihr Leben bedeutet.“ Soll sich die Wissenschaft also in Zukunft stärker öffentlich zu Wort melden? „Unbedingt“, findet Rohe. „Ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zu erklären, gehört zu ihrer Arbeit dazu.“ Schließlich wird die Wissenschaft öffentlich finanziert.

Die Lehren aus der Krise: Politik muss alle Erkenntnisse bewerten

Wissenschaftler sollten Entscheidungen der Politik überlassen, meint die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen
Wissenschaftler sollten Entscheidungen der Politik überlassen, meint die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen © dpa | Foto: Kay Nietfeld

Aber soll sie auch politische Entscheidungen verantworten? „Keineswegs“, sagt auch die Medizinethikerin Christiane Woopen. Denn was wisse ein Virologe schon über soziale Konflikte, was ein Psychologe über Infektionsrisiken? „Politik muss all diese Erkenntnisse zusammenfassen, bewerten, daraus Schlüsse ziehen und dann entscheiden.“

Um die Krisen der Zukunft zu meistern, ist also ein gut austariertes Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik wichtig. Dabei benötigen beide Sphären ihren Freiraum. Denn weder darf die Politik die Wissenschaft für ihre Zwecke einspannen, noch sollten Forscher die politische Bühne für den eigenen Vorteil nutzen. Eine Lehre aus der Pandemie sollte daher sein, dass die Wissenschaft in der Politik künftig eine wichtigere Rolle spielt – vor allem mit Blick auf die Klimakrise.

„Wir können etwas ändern“

Eine weitere Erkenntnis ist: Die Menschen haben ihr Verhalten geändert. Sie kauften weniger, verreisten nicht, hielten Abstand – und nahmen den Rat der Experten an. Dieses veränderte Konsum- und Mobilitätsverhalten macht Wolfgang Rohe auch mit Blick auf die Klimakrise Mut. „Die Menschen haben in der Krise erkannt: Wir können etwas ändern.“

>>>> Umfrage: Bürger wünschen mehr Expertenwissen

81 Prozent der Deutschen wollen, dass politische Entscheidungen im Umgang mit der Corona-Pandemie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Dies ist ein Ergebnis des „Wissenschaftsbarometers“, einer repräsentativen Erhebung im Auftrag von „Wissenschaft im Dialog“ (WiD).

Vor gut einem Jahr, als die wöchentlichen Klimaproteste für Diskussionen sorgten, sagten nur 54 Prozent, dass politische Entscheidungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten. Zugleich wuchs das Vertrauen in die Wissenschaft von 50 auf 73 Prozent. WiD ist eine Initiative der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen.