Düsseldorf. Landespolitiker aus unterschiedlichen Parteien knöpfen sich den Fleischunternehmer Clemens Tönnies vor. Ruf nach Schadenersatz wird lauter.

Die Landespolitik rechnet nach dem großen Corona-Ausbruch bei der Fleisch-Firma Tönnies mit dem Unternehmer Clemens Tönnies und dessen System der Werkvertragsarbeiter ab. Das Ende dieses Wirtschaftsmodells ist offenbar in Sicht. Immer lauter werden zudem die Rufe nach finanzieller Wiedergutmachung der Schäden, die der Konzern in der Region Gütersloh angerichtet hat.

Greenpeace hatte am Mittwoch eine große „Kotelett-Skulptur“ auf die Wiese vor den Landtag gestellt, während drinnen im Parlament nicht nur das Krisenmanagement der Landesregierung, sondern auch die Zustände in der NRW-Fleischindustrie unter die Lupe genommen wurden.

Laschet: „Wir haben zu lange zugeschaut“

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, die Landespolitik werde intensiver über die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sprechen müssen. „Wenn diese schreckliche Pandemie einen Hauch an Positivem hat, dann, dass es das Brennglas auf den Zustand in unserer Gesellschaft gerichtet hat. Auch bei dieser großen sozialen und humanitären Frage“, sagte der Regierungschef. „Und wir haben die Chance, einen Zustand zu beenden, dem wir viel zu lange zugeschaut haben.“

Landtagsdebatte mit neuem Infektionsschutz. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sitzt auf der Regierungsbank neben seinem Stellvertreter Joachim Stamp (FDP), getrennt durch eine Plexiglasscheibe. Laschet kritisierte die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Foto:
Landtagsdebatte mit neuem Infektionsschutz. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sitzt auf der Regierungsbank neben seinem Stellvertreter Joachim Stamp (FDP), getrennt durch eine Plexiglasscheibe. Laschet kritisierte die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Foto: © dpa | Rolf Vennenbernd

Während Laschet im Ton diplomatisch blieb, ging Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) frontal auf Firmenchef Clemens Tönnies los. „Unter der Woche europäische Arbeiter auszupressen und sich am Wochenende als Mäzen eines Arbeitervereins feiern zu lassen, das ist der Gipfel der Heuchelei“, sagte Kutschaty im Parlament. In den Fleischfabriken von „Tönnies & Co.“ herrschten Arbeitsbedingungen wie in den Textilfabriken des 19. Jahrhunderts. Später meinte Kutschaty, das Land solle wegen der neuen Reisebeschränkungen für Bewohner der Kreise Gütersloh und Warendorf die Urlaubs-Stornokosten für Betroffene erlassen und sich das Geld bei Tönnies wiederholen.

SPD: Tönnies soll persönlich haften

SPD-Landesvorsitzender Sebastian Hartmann riet ebenfalls dazu, den Chef des größten Fleischunternehmens in Deutschland persönlich in die Pflicht zu nehmen: „Der Corona Ausbruch zeigt, wie ausbeuterisch und menschunwürdig das System Tönnies in der Fleischindustrie ist. Es wurde von Tönnies maßgeblich geschaffen; er sollte deshalb auch persönlich für den Schaden aufkommen.“

Am Freitag werden Bundes- und Landesminister in Düsseldorf bei einem „Branchengespräch“ über Missstände in der Fleischindustrie reden, kündigte Armin Laschet an. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) trifft dann ihre Ressort-Kolleginnen Ursula Heinen-Esser (NRW) und Barbara Otte-Kinast (Niedersachsen, beide CDU). An dem Gespräch zur gesamten Kette des Marktes vom Stall bis zum Teller sollen Vertreter von Tierhaltern, Schlachtereien, Ernährungswirtschaft, Handel und Verbraucherschützer teilnehmen. Auch das Bundeskartellamt, Tierschützer und Tierärzte werden erwartet.

Arbeitsminister Laumann: „Dieses System hat keine Zukunft mehr“

Notwendig sei eine „Neujustierung“ der Tierhaltung in Deutschland, teilte das Bundesministerium mit. Fleisch und Wurst seien oft zu billig. Unter diesen Bedingungen seien faire Arbeitsbedingungen und Löhne, hohe Tierwohlstandards und ein auskömmliches Einkommen von Tierhaltern schwer zu erreichen. „Wir alle stehen hier in der Verantwortung. Deshalb setzen wir auf die Teilnahme und Mitarbeit der gesamten Kette“, erklärten die drei Ministerinnen.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte erneut einen scharfen Kurs gegen die Zustände in der Fleischindustrie an. „Das hat mit einer humanen Arbeitswelt nichts mehr zu tun“, sagte er am Mittwoch. Er wehrte sich gegen Vorwürfe, die Behörden hätten Schlachthöfe nicht gut genug kontrolliert. In 30 Schlachthöfen seien bei Kontrollen erhebliche Mängel festgestellt worden, so Laumann. Dazu gehörten auch Tönnies-Betriebe. „Der Arbeitsschutz war pausenlos unterwegs, gerade in den Hotspots in NRW.“ Das derzeitige System der industriellen Schlachtung habe keine Zukunft mehr, sagte Laumann mit Blick auf das geplante Bundesgesetz.

Derweil wurde die „Kotelett-Skulptur“ draußen vor dem Parlament von der Sommersonne gegrillt. „Billigfleisch ist ein krankes System. Jetzt rächt sich, dass die Schweinebarone seit Jahren ungestört schalten und walten konnten“, meinte Martin Hofstetter von Greenpeace. Ungestört walten können dürfte Tönnies allerdings künftig nicht mehr. (mit dpa)