Essen. Die Corona-Pandemie beschleunigte die Digitalisierung an Schulen und Hochschulen enorm – Experten sehen dennoch Grenzen.
Die Corona-Pandemie hat die Schulen in NRW aus ihrem digitalen Dornröschenschlaf geweckt. Plötzlich wurde sichtbar, woran es schon lange fehlt: An pädagogischen Konzepten für den digitalen Unterricht, an einer einheitlichen Lernplattform für Lehrer und Schüler, an IT-Kenntnissen bei Lehrern und nicht zuletzt an Internetanschlüssen und und Laptops. Das Ziel ist jetzt klar, doch der Weg zu einer funktionierenden digitalen Lernkultur an Schulen und Hochschulen in NRW ist noch weit.
So lange will der 19-jährige Daniel A. nicht warten. Er will Digitalisierung sofort und startete eine Online-Petition an die Landesregierung: „Ich fordere als Schüler ein planbares und durchdachtes Digitalisierungskonzept sowie Tablets für alle Schülerinnen und Schüler.“ Das sei auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In vielen Schulen geht es kaum mit der Digitalisierung voran, findet er.
Keine Erfahrungen mit dem Fernuntericht
Das kann Dominik Schöneberg nur bestätigen. „Eine vollständige Ausstattung mit Notebooks und Tablets haben nur die wenigsten Schulen in NRW“, sagt der 39-jährige Physik- und Philosophielehrer. Die Ausstattung der Schüler, die er am Gymnasium unterrichtet, schwanke zwischen „gar kein Gerät“ und „Komplettausstattung mit Smartphone, Tablet, Notebook und Drucker“. Ein Unterricht, der alle Schüler gleichermaßen fördert, sei so nicht möglich.
Und einmal abgesehen von der Technik: „Um es klar zu sagen: Wir sind für den Fernunterricht nicht ausgebildet und haben darin keinerlei Erfahrung. Wir lernen gerade selbst – größtenteils durch Trial and Error.“ Versuch und Irrtum also als Unterrichtsprinzip in Corona-Zeiten.
Nur drei Prozent der Schulen haben Tablets für alle
Jetzt räche sich die mangelhafte Digitalisierung an den Schulen, stellt der NRW-Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Stefan Behlau, fest. Nach einer Umfrage des Verbands unter Schulleitern gibt es nur an drei Prozent der Schulen für alle Klassen Tablets oder Laptops für den Unterricht. Demnach gibt es an 40 Prozent der Schulen „vereinzelt“ Klassensätze an Tablets. Aus Behlaus Sicht sind das beschämende Werte.
Die große Mehrheit der Schulen hatte bis zu den Schulschließungen überhaupt kein Digitalkonzept, ein Viertel der Lehrer fühlt sich bei der Vorbereitung des Online-Unterrichts überfordert und auf sich allein gestellt, ergab eine Studie der Erziehungswissenschaftlerin Birgit Eickelmann. Eine Lehre aus der Coronakrise könne man bereits ziehen: „Wir müssen dringend eine Debatte um die Lehrkräfte-Qualifizierung, die Einführung digitaler Lernplattformen und die gezielte Unterstützung von Schülern aus bedürftigen Familien führen.“
Hochschulen im digitalen Sommersemester
An einer sicheren und einfachen Lernplattform im Internet, über die Lehrer und Schüler kommunizieren können, wird in NRW seit Jahren getüftelt. Andere Bundesländer sind da weit voraus. Unter immer größeren Druck geraten, stellte NRW-Schulministerin vor wenigen Tagen das Lernmanagementsystem „Logineo LMS“ vor. Das sei zwar erfreulich, kommentierten Lehrkräfte die Nachricht. Doch komme das System reichlich spät. Man habe sich längst mit anderen Lösungen arrangiert. Bislang nutzten nur 825 von rund 6500 Schulen in NRW die Arbeitsplattform Logineo, an der die neue Lernplattform andockt.
Ein anderes Tempo als die Schulen legen die Hochschulen bei der Digitalisierung an den Tag. Das Sommersemester läuft fast ausschließlich online ab. Die ersten Semesterwochen hätten gezeigt, dass sich die Hochschulen rasant auf digitale Lehre umstellen konnten, aber auch, wo die Grenzen der Online-Formate liegen, sagt Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Uni Duisburg-Essen.
"Ein Blick ins Gesicht genügt"
„Den Schalter umlegen und alles läuft einfach digital – das funktioniert so nicht.“ Die richtige Technik allein ermögliche noch keine gute digitale Lehre. Es bringe nichts, „stundenlange Vorlesungen im Internet zu streamen“, so Kerres. Ähnlich sieht es auch Lehrer Schöneberg. Der Computer könne den Unterricht in der Klasse nicht ersetzen: „Wenn man seine Schüler kennt, genügt meist ein Blick in sein Gesicht um zu sehen, wie es gerade läuft.“
Die Lehren aus der Krise
Bei allem digitalen Schwung, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat -- die Schulen und Hochschulen müssen künftig mehr bieten als schnelles Internet und Laptop für jeden. Digitales Lernen muss in der Lehrerausbildung verankert werden, Lehrkräfte müssen in der Handhabung der Technik und den didaktischen Konzepten jetzt fortgebildet werden. Dazu ist mehr Personal und Geld nötig. Alle Schulen müssen über eine Lernplattform verfügen. Und nicht zuletzt: Die Geräte müssen gewartet und auf dem neuesten Stand gehalten werden – damit sie nicht wieder nutzlos im Schulregal verstauben.