Essen/Düsseldorf. Vorerkrankte Lehrkräfte und schwangere Lehrerinnen werden in die Schulen gerufen. Schulleiter sprechen von hohem Risiko. GEW unterstützt Klagen.
Ein neuer Erlass des Schulministeriums sorgt erneut für Ärger und Unmut unter Eltern, Lehrern und Schulleitern. Danach sollen auch „Risikolehrkräfte“ in NRW bei mündlichen Abschlussprüfungen eingesetzt werden, heißt es in dem Schreiben an die Bezirksregierung vom 11. Mai. Gemeint sind Lehrkräfte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, Personen mit Vorerkrankungen sowie schwangere und stillende Lehrerinnen. Sie werden „verpflichtet, an Verfahren zur Abnahme mündlicher Prüfungen teilzunehmen“, heißt es in dem Erlass. Dabei sei der hygienische Standard einzuhalten und auf die „besondere Situation der Betroffenen Rücksicht zu nehmen“.
Schulleiter fühlen sich von dieser neuen Vorgabe offenbar überrumpelt. „Das bedeutet nichts anderes, als dass diese Lehrkräfte zum Dienst gerufen werden“, sagt Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungs-Vereinigung NRW (SLV), dieser Redaktion. Der Erlass stehe im Widerspruch zu bisherigen Vorgaben der Landesregierung. Denn in der 15. Schulmail vom 18. April heißt es: „Aus arbeitsmedizinischen Gründen ist angesichts der derzeitigen Umstände ein Beschäftigungsverbot für eine schwangere Lehrerin auszusprechen.“
Etwa 25 Prozent der Lehrkräfte gehören zu einer Risikogruppe
Auch Lehrkräfte mit Vorerkrankungen sollten nach bisher geltenden Vorgaben vorerst „nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden“. Lehrer im Alter von über 60 Jahren dürften nur auf eigenen Wunsch in die Klasse. „Als Schulleiter hätte ich ein Riesenproblem mit diesem Widerspruch,“ sagt SLV-Vorsitzender Willert. „Ich kann doch für schwangere Kolleginnen keine Verantwortung übernehmen.“ Er könne sich die Lockerung nur mit Personalengpässen erklären. Nach Schätzungen von Lehrerverbänden gehören in NRW etwa 25 Prozent der Lehrkräfte einer Risikogruppe an.
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In der Begründung des Schulministeriums für die auf das laufende Schuljahr begrenzte Regelung ist indes von Personalnot nicht die Rede. Vielmehr habe das Ministerium „auf mehrfachen Wunsch von betroffenen Lehrkräften, Schulleitungen aber auch von Schülern entschieden, dass die Abnahme von mündlichen Prüfungen auch durch schwangere Lehrkräfte erfolgen kann“.
GEW: Widerspruch zu bisherigen Rechtsinformationen
Für Schüler sei dies eine besondere Situation, „die ihre vertraute Lehrkraft durchführen sollte, mit der sie sich knapp zwei Jahre darauf vorbereitet haben“, heißt es weiter aus dem Ministerium. Dabei seien die Abstands- und Hygieneregeln „sehr gut zu gewährleisten“. Zudem verweist das Ministerium jetzt auf eine Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach eine generelle Festlegung zur Einstufung in eine Risikogruppe nicht möglich sei.
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Heftige Kritik an der neuen Argumentation übt auch Maike Finnern, Vorsitzende er Bildungsgewerkschaft GEW in NRW: „Der Erlass ist ein eklatanter Widerspruch zu den bisherigen Rechtsinformationen des Schulministeriums.“ Der Einsatz von „Risikolehrkräften“ und Schwangeren entspreche nicht den Empfehlungen für diese Gruppe, so Finnern. Lehrkräften, die gegen den Erlass klagen wollten, bot die Gewerkschafts-Chefin Rechtshilfe an.
Eltern beschweren sich über „Prüfungsorgien“
Die Landeselternkonferenz (LEK) beschwert sich darüber, dass nun viel mehr Schüler als bisher bekannt in Prüfungen geschickt werden. „Der Hauptschulabschluss Klasse 9, der Übergang zur Oberstufe, der Erwerb des mittleren gymnasialen Bildungsabschlusses und der Übergang von der Einführungsphase (EF) zur Qualifikationsphase (Q1) sowie die Punkte der Q1 für das Abitur 2020/21 waren zu Beginn des Lockdowns nicht im Fokus der Landesregierung“, sagte Ulrich Meier aus dem LEK-Vorstand.
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Nun stelle die Landesregierung klar, dass die notwendigen Klausuren und Prüfungen für alle Abschlüsse durchgeführt werden müssen. Der Verband spricht von „Prüfungsorgien“, die nun anstünden, und zwar „an wenigen Tagen im Eiltempo“. So werde die anfängliche Freude auf schulische Bildung, „schnell wieder zur Belastungsprobe des Bildungssystems und aller Beteiligten“.