Düsseldorf/Coesfeld. . Tausende Beschäftigte der NRW-Schlachthöfe werden auf Coronavirus getestet. Gewerkschaft NGG warnt vor “enormer Corona-Gefahr“ in Fleischbranche.

Nach dem Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb im Coesfeld sind in Nordrhein-Westfalen landesweit Virus-Tests in der Fleischbranche angelaufen. Es ist nach Angaben von NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann (CDU) die größte Reihenuntersuchung in der Corona-Krise in Deutschland. Bis zu 20.000 Mitarbeiter der NRW-Fleischfabriken müssen untersucht werden. Er hoffe, dass in drei bis vier Tagen abzusehen sei, wie die Infektionssituation an den anderen großen Schlachthöfen ist, sagte Laumann am Montag in Düsseldorf.

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In der Coesfelder Fleischfabrik, die am vergangenen Freitag wegen der hohen Infektionszahlen vorübergehend geschlossen worden ist, gibt es nach Angaben des Kreises bislang 254 bestätigte Fälle, 512 Tests seien negativ ausgefallen. Das Land hatte wegen der hohen Infektionszahlen die am Montag in ganz NRW in Kraft getretenen Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen in dem Kreis im Münsterland ausgesetzt.

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Laumann hält es aber für möglich, dass auch dort die Schutzvorkehrungen zum kommenden Wochenende gelockert werden können. Das hänge aber davon ab, ob sich das Infektionsgeschehen auf den Schlachtbetrieb beschränke. Im Kreis Coesfeld müssen etwa Gaststätten oder Fitnessstudios noch geschlossen bleiben. Für Schulen und Kindergärten gelten dagegen dieselben schrittweisen Lockerungen wie im Rest des Landes.

In allen anderen Kreisen in NRW seien die Zahlen „weit weg“ von der kritischen Obergrenze, sagte Laumann. Er sehe derzeit nicht, dass auch in anderen Städten oder Kreisen Corona-Lockerungen wegen zu hoher Infektionszahlen wieder rückgängig gemacht werden müssten. In einem Schlachthof in Schöppingen im Kreis Borken wurden am Montag 34 Infektionen gezählt. Insgesamt seien 329 Proben genommen worden, teilte der Kreis mit.

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Laumann erhöhte den Druck auf den Betreiber der Fleischfabrik. Er müsse ein umfassendes Hygienekonzept vorlegen, statt die Schließung vor Gericht anzugreifen. Westfleisch war vor dem Verwaltungsgericht Münster mit einem solchen Antrag gescheitert. Bei dem Hygienekonzept dürfe es nicht allein um den Betrieb gehen, sondern auch um die Wohnsituation der Arbeiter und um den Transport von der Wohnung zum Schlachthof, forderte Laumann. Das Verschieben von Verantwortung auf Subunternehmer sei inakzeptabel. In den Schlachthöfen sind viele Mitarbeiter bei Subunternehmern beschäftigt. Sie kommen häufig aus Ost- und Südosteuropa.

Bei einigen Unterkünften von Arbeitern der Coesfelder Fleischfabrik seien „erhebliche Mängel“ beim Infektionsschutz festgestellt worden, berichtete der Minister. Der staatliche Arbeitsschutz habe aber nur begrenzte Einsicht in die Unterkünfte, da es sich nicht um Werkswohnungen handele. Die meisten Wohnungen seien privat angemietet, da könnten nur die kommunalen Ordnungs- und Gesundheitsämter kontrollieren.

Tausende Arbeiter hausen in engen Wohnungen

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Die Kommunen müssen sich einen Überblick über die Unterkünfte der Arbeiter aus den Schlachthöfen verschaffen. Allein der Coesfelder Nachbarkreis Steinfurt geht davon aus, dass es bei ihm mehr als 100 solcher Wohnungen gibt, wie eine Sprecherin sagte. In diesen Unterkünften unterschiedlicher Größe lebten aber nicht nur Beschäftigte aus Schlachthöfen, sondern auch aus anderen Betrieben. Insgesamt müssten im Kreis nach jetzigem Stand 2500 bis 3000 Menschen getestet werden. Auch in Emmerich am Niederrhein leben laut Stadt viele Arbeiter der Fleischindustrie, die in den nahen Niederlanden arbeiteten. 40 Sammelunterkünfte seien der Stadt bekannt, heißt es. Mehrere Bürgermeister schlagen deshalb jüngst Alarm.

Die SPD will von Laumann wissen, seit wann die Behörden von den Infektionen unter den Arbeitern in dem Coesfelder Schlachthof gewusst und was sie zur Eindämmung unternommen haben. Die Partei hat das Thema deshalb auf die Tagesordnung der Sitzung des Arbeits- und Gesundheitsausschusses im Landtag an diesem Mittwoch setzen lassen. „Seit Mitte März sollen die Behörden über erste Infektionsfälle informiert gewesen sein“, erklärte der arbeitsmarkt- und gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Josef Neumann. Laumann müsse sich fragen lassen, welche Verantwortung er für diese Zustände habe. Der Minister verwies darauf, dass der Arbeitsschutz schon am 24. April angewiesen worden sei, die Corona-Vorkehrungen in den Schlachthöfen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gewerkschaft warnt vor "enormer Corona-Gefahr" in Fleisch-Branche

NRW-Schweinemäster befürchten durch die Schließung des Schlachthofes in Coesfeld Absatzprobleme und einen Preisverfall beim Schweinefleisch. Er erwarte von „allen Marktbeteiligten, die Preise nicht weiter zu drücken“, sagte der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Hubertus Beringmeier am Montag in einer Videobotschaft. Die Schlachtbranche müsse die fehlende Kapazität aus Coesfeld ausgleichen. Der betroffene Schlachthof wird von rund 1000 Schweinemästern aus der Region beliefert.

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Unterdessen warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), in den Sammelunterkünften der Werkvertragsbeschäftigten aus Osteuropa "brütet überall im Land eine enorme Corona-Gefahr", sagte Adnan Kandemir, Gewerkschaftssekretär der NGG im Ruhrgebiet. Grund dafür sei auch der "seit Jahren anhaltende Dumping-Wettbewerb bei Fleisch", krisierte Kandemir: „Wohin dieser Preiskampf führen kann, zeigen die jüngsten Corona-Ausbrüche in Coesfeld und anderen Schlachthöfen“,

Das habe auch Folgen für die Lebensbedingungen von Arbeitern in der Fleischindustrie: „Während überall Abstandsregeln und Kontaktsperren gelten, wohnen in den Gemeinschaftsunterkünften oft bis zu sechs Osteuropäer in einer 60-Quadratmeter-Wohnung. Dafür ziehen die Subunternehmer dann aber jedem Einzelnen auch noch 250 Euro vom ohnehin kargen Lohn ab“, berichtet Kandemir. Vor allem die Gesundheitsämter müssten die Unterkünfte von Beschäftigten wesentlich intensiver ins Visier nehmen.

Akkord-Arbeit schwächt Widerstandskraft der Fleisch-Arbeiter

Die NGG im Ruhrgebiet begrüßte am Dienstag, dass die NRW-Landesregierung nun Tausende Beschäftigte in der Fleischindustrie auf Corona testen lässt und die örtlichen Gesundheitsämter angewiesen hat, die Sammelunterkünfte der Saisonarbeiter zu kontrollieren. "Um die Gesundheit der Beschäftigten aber auch künftig zu schützen, muss die Fleischbranche regelmäßig vom Staat in den Blick genommen werden“, fordert Kandemir.

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Ohnehin seien Beschäftigte in der Fleischindustrie mit Blick auf Corona erheblich gefärdet, meint Kandemir: Zwölf-Stunden-Schichten seien in der Branche "Gang und Gäbe", sagt Kandemir: "Die lange, körperlich harte Arbeit in der Schlachtung und die Zerlegung geschlachteter Tiere mache die Menschen anfälliger für Erkrankungen und schwäche ihre Widerstandskraft." Auch das sei ein Aspekt, der bei Covid-19-Infektionen nicht unter den Tisch fallen dürfe. (mit dpa)