Essen. Volle Busse, enge Züge - und das in Pandemie-Zeiten: Der ÖPNV könnte zu einem der großen Corona-Verlierer werden. Kommen die Fahrgäste wieder?

Der öffentliche Nahverkehr droht zu einem der großen Verlierer der Corona-Krise zu werden. Fahrgastzahlen und Ticketeinnahmen sind infolge der weitreichenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens auf breiter Front eingebrochen. Gleichzeitig können die meist kommunalen ÖPNV-Betriebe ihre kostenintensive Infrastruktur aus Gleisanlagen und Fahrzeugen nicht einfach stilllegen.

Eine Herausforderung über Jahre

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Zudem dürfte das Bild von Bussen und Bahnen, in denen Fahrgäste nach einem Auslaufen der Schutzmaßnahmen wieder dicht gedrängt stehen, in Pandemie-Zeiten eine abschreckende Wirkung entfalten. Branchenkenner fürchten daher, dass sowohl das bisherige Geschäftsmodell des ÖPNV als auch dessen guter Ruf als klimafreundliche Alternative für staugeplagte Autofahrer dauerhaft Schaden nehmen könnte.

Verkehrswende auf die lange Bank geschoben?

Von einem „langen Anlauf“, jetzt verlorene Fahrgäste nach der Krise wieder zurückzugewinnen, geht etwa der bundesweite Branchenverband VDV aus. „Das wird eine Herausforderung über Jahre werden“, sagte VDV-Sprecher Lars Wagner der WAZ. Die in der Klimadebatte oft zitierte Verkehrswende mit ihrem Ausbau des ÖPNV-Angebotes zu Lasten des Individualverkehrs sieht Wagner „auf die lange Bank geschoben“.

Bartarifverkauf bricht ein

Finanziell treffe die Betriebe derzeit besonders der massive Rückgang im Einzelticketverkauf. Bundesweit sind die Einnahmen in diesem Sektor laut VDV um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Stammkunden hielten dem ÖPNV dagegen noch die Treue.

Das Virus schiebt den ÖPNV in ungewisse Richtung

Eine Grippewelle hat das Land fest im Griff und in Bussen, Bahnen und Regionalzügen drängeln sich zu den üblichen Stoßzeiten die Pendler? Schon ohne Corona ist diese Vorstellung wenig appetitlich. Doch Covid 19 setzt das System Nahverkehr nun auf ein völlig neues Gleis. Wohin das Virus den noch vor wenigen Wochen als Heilsbringer des Klimaschutzes und der Verkehrswende gefeierten ÖPNV steuert, ist ziemlich ungewiss.

Vier Personen auf vier Sitzen nebeneinander - so schnell nicht mehr

Frank Heidenreich, CDU-Fraktionschef in der Verbandsversammlung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), sieht durch Corona das Vertrauen in das System Nahverkehr nachhaltig gestört. „Viele Kunden sind verängstigt, weil sie nicht wissen, ob die Infektionsgefahr im Nahverkehr besonders hoch ist oder nicht“, so Heidenreich. Dabei sei noch gar nicht erwiesen, ob Fahrgäste bei den relativ kurzen Begegnungen in Bussen und Bahnen tatsächlich einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt seien. Zum Problem werden könnten künftig auch die Kapazitäten des Nahverkehrs. „Vier Personen nebeneinander auf vier Sitzen wird es so schnell nicht wieder geben“, glaubt Heidenreich.

Renaissance des Autos

Auch ADAC-Verkehrsexperte Roman Suthold geht davon aus, dass die Angst, sich in Bussen und Bahnen zu infizieren, lange nachwirken werde. Das gelte womöglich auch für Car Sharing oder Leih-E-Scooter. Suthold will sogar eine „Renaissance des Autos“ infolge von Corona nicht ausschließen. Für den Automobilklub-Sprecher ist das übrigens kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil. Suthold: „Seit Jahren kämpft der ÖPNV mit hohem Aufwand und viel Geld darum, ein paar Prozentpünktchen bei den Anteilen der Verkehrsträger gut zu machen“. Nun werfe Corona die Arbeit von 20 Jahren zurück. Das sei bedauerlich.

Kommunaler Rettungsschirm

Welche finanziellen Nachbeben Corona im ohnehin unterfinanzierten Nahverkehr auslösen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. „Die Größenordnung hängt maßgeblich davon ab, wie lange die Einschränkungen anhalten werden“, sagt der Chef der Dortmunder Stadtwerke, Guntram Pehlke. Die Chefs der Ruhrbahn (Essen/Mülheim), Michael Feller und Uwe Bonan, dringen schon jetzt auf Finanzhilfen. „In dieser Krise benötigen wir finanzielle Unterstützung etwa durch einen kommunalen Rettungschirm“, sagten beide der WAZ.