Düsseldorf. In den Kommunen fehlen Planer, Radwege enden plötzlich an der Stadtgrenze, Radler-Strecken sind meist nur Nebenprodukte des Straßenbaus.
Der Fahrrad-Club ADFC, die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ und immer mehr Bürger fordern die Städte in NRW auf, mehr und bessere Radwege zu bauen. „Der Radwegebau scheitert nicht am Geld von Bund und Land. Er scheitert in den Kommunen und Kreisen, wo immer weniger Planer zur Verfügung stehen und Fachleute, die Förderanträge stellen können“, sagte Michael Kleine-Möllhoff vom ADFC-Landesvorstand dieser Redaktion. Er fordert eine eigenständige Verkehrsplanung für Radverkehr. Radwege dürften nicht länger „Nebenprodukte“ des Straßenbaus sein, sagte er.
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Schlechte Beispiele gebe es zuhauf. So standen an einem maroden Radweg in Duisburg wochenlang Schilder „Radfahrer absteigen“, weil sich Behörden nicht einigen konnten, wer für die Sanierung zuständig war. „Überall im Land fehlt der Mut, Verkehrsflächen konsequent für den Radverkehr umzuwidmen“, kritisiert Ute Symanski von der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“. 25 Prozent der Straßenfläche müssten Radlern zur Verfügung stehen. Heute stünden Autos 80 bis 90 Prozent der Fläche zur Verfügung. Die Volksinititative setzt Hoffnungen auf NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU). Der nehme das Problem im Gegensatz zu vielen kommunalen Akteuren ernst. „Aufbruch Fahrrad“ hat einen großen Erfolg erzielt: NRW bekommt ein eigenes Fahrradgesetz.
Vielerorts nehmen Bürger die Förderung des Radverkehrs in die eigene Hand und bringen „Radentscheide“ auf den Weg. In Aachen unterschrieben mehr als 38.000 Bürger für einen Entscheid. Gefordert waren nur 8000. Ähnliche Initiativen gibt es in Bielefeld, Essen, Bonn, Bochum und Marl. Ziel: bessere Radwege und Abstellmöglichkeiten für Räder sowie mehr Planer.
Gute Beispiele Sauerland und Dortmund
Der Fahrradclub ADFC lobt das Engagement einzelner Regionen und Städte. Arnsberg, zum Beispiel, habe früher den Radverkehr wegen der bergigen Lage nicht auf dem Schirm gehabt. Der Trend zu Elektro-Rädern und der Bau des Ruhrtal-Radwegs habe die Stadt aber „auf den Geschmack gebracht“, so Kleine-Möllhoff. Das gelte für das ganze Sauerland, wo der Radtourismus boome. Dortmund baut die Kapazitäten für den Radwegebau mit zehn zusätzlichen Planern massiv aus. Hier hat die Diskussion um Diesel-Fahrverbote ein Umdenken ausgelöst.
Fast 1,5 Milliarden Euro hat der Bund NRW im vergangenen Jahr für Straßenbau gegeben. Davon flossen aber nur 8,5 Millionen Euro in den Bau von Radwegen an Bundesstraßen, wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine FDP-Anfrage schreibt. Mageres Ergebnis: 27 Kilometer neue Radwege.
Radwege sind erwünscht, aber schwer zu bauen
„Radwege sind praktizierter Umwelt- und Naturschutz und verbessern die Nahmobilität“, heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP. Die Nutzung von Rädern sei Teil einer „intelligenten Verkehrspolitik“. Und: „Wir werden die Radinfrastruktur weiter stärken.“ Das ist das Ziel. Vor Ort aber, entlang städtischer, Bundes- und Landesstraßen, verzweifeln viele Radfahrer, weil der Radwegebau nicht vorankommt.
Auf der neuen A40-Brücke in Neuenkamp/Duisburg soll es einen mit 2,67 Meter verhältnismäßig schmalen Radweg geben. Zeitgemäß wären vier Meter Breite, finden der Fahrradclub ADFC sowie örtliche Politiker und Bürger. Aber leider werde auch bei so großen Bundes-Projekten der Radverkehr von vornherein nicht angemessen berücksichtigt. Kein Einzelfall.
Da wird in Meerbusch ein Radweg Richtung Düsseldorf gebaut, aber Düsseldorf kommt diesem nicht mit einem Radweg entgegen. In Herford bremst der Regionalrat den Bau von Radwegen, weil diese nur ein Projekt von vielen und somit „zweitrangig“ seien. Und Soest musste eine preisgekrönte und bundesweit gelobte Radspur in der Mitte einer Stadtstraße wieder „zurückbauen“, weil so etwas laut Straßenverkehrsordnung nicht vorgesehen ist.
„Der Radwegebau scheitert, weil Projekte oft an Stadtgrenzen enden, weil keine Radwege-Planer in den Verwaltungen sitzen, weil keine Baufirmen verfügbar sind oder von ihnen extrem hohe Preise gefordert werden“, ärgert sich Michael Kleine-Möllhoff, Vorstandsmitglied im ADFC in NRW.
Das Ruhrgebiet plant ein regionales Radwegenetz
Ausgerechnet der wegen der gescheiterten Regionalplanung so hart gescholtene Regionalverband Ruhr (RVR), hat bei der Radfahrerlobby ein Stein im Brett. Dass der RVR ein regionales Radwegenetz für den Alltagsverkehr geplant hat, sei vorbildlich. Leider hake es bei der Umsetzung vor Ort. Im Grunde müssten Radwege eigenständig geplant und gebaut werden, wie zum Beispiel der Radschnellweg durchs Ruhrgebiet (RS1). Der ist eine Landesstraße.
Viele Bürger wollen sich die Hindernisse, die den Radwegebau erschweren, nicht mehr länger bieten lassen und bringen „Radentscheide“ auf den Weg, nicht nur vielerorts in NRW, sondern auch in Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und Darmstadt.
Bonn will laut ADFC am 21. März mit der Unterschriftensammlung beginnen. In Marl im Kreis Recklinghausen wurden am 24. Januar der Baudezernentin die Unterlagen für einen Radentscheid überreicht. Für Marl hat die Dezernentin bereits angekündigt, dass demnächst ein Planer für den Radverkehr seine Arbeit aufnimmt. Vor sechs Jahren verlor Marl den Titel „fahrradfreundliche Stadt“. In Bochum denkt die Initiative „Radwende“ über ein Bürgerbegehren nach.
Fördergeld wird nur zögerlich abgerufen
Radentscheide sind solche Bürgerbegehren. Werden ausreichend gültige Unterschriften gesammelt, muss der Stadtrat sich mit den Forderungen beschäftigen oder in der Stadt einen Bürgerentscheid durchführen lassen. „Ein gutes Beispiel ist Berlin, wo der Volksentscheid Fahrrad zu einem Fahrradgesetz führte und die Zahl der ‚Fahrrad‘-Stellen in den Verwaltungen stark zugenommen hat“, erklärt Rebecca Heinz vom ADFC NRW.
Zwar beteuern die Förderer des Radverkehrs, dass vor allem ein „Mentalitätswechsel“ in den Kommunen nötig sei und das Geld keine so große Rolle spiele. Dennoch fällt auf, dass Bund und Länder nicht besonders tief in die Kassen greifen, um in ihren Zuständigkeiten Radwege zu fördern. 8,5 Millionen Euro gab der Bund zuletzt für den Bau und Erhalt von Radwegen an Bundesstraßen an NRW. Diese Summe schwankt seit sechs Jahren zwischen 7,5 und 10 Millionen Euro.
Darüber hinaus stellt der Bund weitere Zuweisungen für den Radverkehr zu Verfügung. Aus der so genannten „Kommunalrichtlinie“ für den Ausbau und Erhalt von Radwegen rief NRW im Jahr 2019 nur 42.000 von 474.000 Euro ab. Dem Programm „Klimaschutz durch Radverkehr“ entnahmen Kommunen in NRW rund 3,7 von etwa 7,4 Millionen Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervorgeht. Dabei wäre es bitter nötig, dieses Geld auch einzufordern, findet die Bundesregierung: „Der Anteil des Radverkehrs an den täglichen Wegen innerhalb Deutschlands liegt bei etwa zehn Prozent. Deutschland liegt damit deutlich hinter anderen europäischen Ländern mit Werten bis zu 30 Prozent“, schrieb das Bundesumweltministerium 2018 zum Start der Förderprogramme.
Fahrradgesetz in Sicht
Das Land NRW stellte 2019 mehr als 12 Millionen Euro für den Radwege-Bau an Landesstraßen (sieben Kilometer), auf stillgelegten Bahntrassen (20 Kilometer) und für „Bürgerwegeradprojekte“ (50 Kilometer) zur Verfügung. NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst im Herbst schnellere Planungen für den Radverkehr gefordert.
Der Landtag stimmte im Dezember dafür, der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ zu folgen und ein Fahrradgesetz NRW auf den Weg zu bringen. Dafür waren von der Initiative 207.000 Unterschriften gesammelt worden.