Essen. Vor fünf Jahren ermordeten Terroristen zwölf Mitarbeiter der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. WAZ-Karikaturist Heiko Sakurai erinnert sich.
Vor fünf Jahren, am 7. Januar 2015, überfielen zwei Islamisten die Redaktion der französischen Satirezeitschrift mitten in Paris. Sie erschossen zwölf Menschen – offenbar aus Zorn über Mohammed-Karikaturen der Zeitschrift. Europa reagierte geschockt. Doch rasch erwuchs auch eine breite Solidaritätsbewegung. Der feste Wille, sich nicht dem islamistischen Terror zu beugen, trieb die Menschen auf die Straße. „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) wurde zum trotzigen Protestruf. Lutz Heuken sprach mit WAZ-Karikaturist Heiko Sakurai (48) über die Nachwirkungen des Terroranschlags.
Herr Sakurai. Wie waren Ihre ersten Reaktion auf das blutige Attentat?
Heiko Sakurai: Ich habe sofort gedacht: Die Morde können nur einen islamistischen Hintergrund haben. Ich musste professionell reagieren. Deshalb war meine erste Zeichnung vorsichtig; sie ging eher in Richtung Pressefreiheit als in Richtung islamistischer Terror – ich wollte niemanden vorverurteilen.
Hat es Sie besonders getroffen, dass die Mordopfer Kollegen von Ihnen waren?
Natürlich hat mich besonders betroffen, dass Karikaturisten wegen ihrer Arbeit, die ja auch meine ist, ermordet wurden. Ich kannte niemanden der Opfer persönlich; alle Kollegen wussten damals aber, dass die Karikaturisten in Frankreich quasi an der Front standen. Sie waren die Speerspitze der religionskritischen Karikaturisten in Europa und damit erste Zielscheibe des Terrors.
Wie beurteilen Sie denn die drastischen Mohammed- und Islam-Karikaturen von Charlie Hebdo?
In Frankreich und auch in Großbritannien haben Karikaturen eine ganz andere Tradition als bei uns. Sie sind wesentlich härter – das gilt übrigens für den Umgang mit allen Religionen. Ich persönlich hätte diese Mohammed-Karikaturen nicht gezeichnet – und zwar unabhängig von der Bedrohung. Es ist für mich eher eine Geschmacksache.
Sie geben Ihren französischen Kollegen also eine Mitverantwortung?
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Nein, um Gottes Willen. Niemand hat es verdient, wegen einer Zeichnung exekutiert zu werden. Ich schätze die Arbeit der Kollegen sehr. Meiner Ansicht nach sind auch diese Karikaturen durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Wir leben in Rechtsstaaten. Wer also meint, er werde durch eine Zeichnung beleidigt, kann die Gerichte anrufen. Die entscheiden dann. Es ist für unsere Demokratie ein sehr hohes Gut, diese Meinungsfreiheit zu haben, deshalb denke ich, dass auch harter Humor à la Charlie Hebdo möglich sein muss.
Sollte man als Zeichner überhaupt über Religion spotten?
Man muss es jedenfalls dürfen. Ich persönlich habe das nie gemacht. Ich habe mich nie über Religion an sich lustig gemacht – nicht über das Christentum, nicht über das Judentum und auch nicht über den Islam. Was ich in meinen Zeichnungen kritisiert habe, ist der Missbrauch von Religion – ob in der katholischen Kirche oder bei den Muslimen. Die konkrete Bedrohung für uns als Kritiker kam allerdings immer von einer Seite – vom islamistischen Terror. Das hat nicht erst vor fünf Jahren begonnen, es ist spätestens seit dem 11. September 2001 in unser aller Bewusstsein.
Hatte der Anschlag direkte Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Natürlich haben die Morde auch mich sehr nachdenklich gemacht. Meine Arbeit aber hat das Attentat nicht grundsätzlich geändert. Wir alle dürfen uns nicht von Angst beherrschen lassen.
Im Netz toben sich zurzeit weniger Islamisten aus als Rechtsextreme. Ist das eine neue Bedrohung?
Ich bin weder von Islamisten noch von Neonazis jemals konkret mit dem Tode bedroht worden. Was aber auffällt, ist der völlig aus dem Ruder laufende Ton der Debatte in den sozialen Medien. Man wird bei bestimmten Themen mit verächtlichen Kommentaren überschüttet – von Rechtsextremisten, aber auch von sogenannten Putin-Verstehern. Manche meiner Karikaturen stelle ich deshalb nicht mehr auf Facebook – nicht aus Furcht, sondern weil ich keinen Bock auf diese unsäglichen Debatten mit Extremisten habe.
Abschließende Frage: Sind wir in Deutschland zu vorsichtig und empfindlich, was Satire angeht?
Im internationalen Vergleich gilt das sicherlich. Ich selbst bin ja auch kein Fallbeil-Karikaturist. Wenn ich mir aber die völlig überzogene Debatte über den wenig geglückten „Umwelt-Sau“-Song ansehe, wachsen bei mir schon Zweifel: Was ist heute an Satire noch möglich, ohne sich einem Proteststurm auszusetzen, der von interessierter Seite für eigene Zwecke instrumentalisiert wird?
Zur Person
Heiko Sakurai, 1971 in Recklinghausen geboren, studierte in Münster Germanistik/Politik/Geschichte (Magister-Examen) und arbeitet seit 1998 als freischaffender Karikaturist. Seit 2000 zeichnet er für die WAZ, später außerdem für die Welt am Sonntag, die Berliner Zeitung, den Kölner Stadtanzeiger, die Schwäbische Zeitung, die Münchner tz und andere. Er lebt mit seiner Familie in Köln.