Düsseldorf. Das NRW-Verfassungsgericht verfügt die Beibehaltung der Bürgermeister-Stichwahlen. Eine Klatsche für die Regierung Laschet. Was das bedeutet.
Die Präsidentin des NRW-Verfassungsgerichtshofes beschränkte sich nicht allein auf ihre juristische Ausführungen. Ricarda Brandts erteilte der schwarz-gelben Landesregierung auch noch Haltungsnoten. Und das schmerzte an diesem für Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) so schweren Tag wohl besonders.
„Sie haben sich im Vorfeld mehrfach über Hinweise in den Beratungen zu dem neuen Gesetz hinweggesetzt“, kritisierte Brandts die Koalition. Der Verfassungsgerichtshof hat die Pläne der Landesregierung am Freitagmittag durchkreuzt, bei den Kommunalwahlen 2020 die Bürgermeister-Stichwahlen abzuschaffen. Für die Wahl der Bürgermeister und Landräte sei neben der demokratische Legitimation auch die Höhe des Zustimmungsgrades von Bedeutung, führte das Gericht aus. „Die relative Mehrheit kann im ersten Wahlgang extrem weit weg sein von der absoluten Mehrheit“, so Brandts. CDU und FDP hätten die „zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft“ berücksichtigen müssen.
Jetzt herrscht Klarheit vor den Bürgermeister-Wahlen am 13. September 2020
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SPD und Grüne feierten das Urteil ausgiebig als „Sieg der Demokratie“. Der Oppositionsführer im Landtag, Thomas Kutschaty, formulierte hämisch: „Der schwarz-gelbe Plan, mit weniger Demokratie für mehr CDU-Bürgermeister und Landräte zu sorgen, ist von den Verfassungsrichtern gestoppt worden.“ Grünen-Fraktionsvize Mehrdad Mostofizadeh sprach von einer „verheerenden Niederlage“ für Laschets Regierungskoalition. Diese habe allein parteipolitische Interessen vor allem der CDU bedienen wollen, „deren Kandidaten häufig das Nachsehen bei Stichwahlen hatten“, so Mostofizadeh.
Der Städtetag NRW ist vor allem froh, dass nun endlich Klarheit herrscht: „Denn schon in neun Monaten, am 13. September 2020, stehen die Kommunalwahlen an. Auf die möglichen zusätzlichen Stichwahlen müssen sich die Kommunen frühzeitig einstellen“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.
Um die Bürgermeister-Stichwahlen wird in NRW seit 20 Jahren gerungen: 1999 wurden sie eingeführt, 2007 wieder abgeschafft, 2011 wieder eingeführt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Kommunalwahlsysteme in Deutschland kommt es inzwischen überall zur Stichwahl, wenn ein Bürgermeister-Kandidat im ersten Wahlgang nicht mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen (absolute Mehrheit) erhält.
Das Schrumpfen der Volksparteien verschafft den Stichwahlen neue Bedeutung
CDU und FDP wollten das nun wieder ändern und argumentierten mit der abnehmenden Zahl von Stichwahlen in NRW zwischen 1999 und 2014/15 sowie der mancherorts schwindenden Wahlbeteiligung an den zweiten Durchgängen. Man erhöhe mit der Abschaffung der Stichwahl die Legitimation der Bürgermeister.
Tatsächlich gab es aber wohl im Regierungslager die Sorge, in einer zunehmend zersplitterten politischen Landschaft mit drei mittelgroßen 20-Prozent-Parteien CDU, SPD und Grünen beim Stechen im Nachteil zu sein. Dann würde sich das rot-grüne Wählerpotenzial möglicherweise in vielen Kommunen doch wieder hinter dem Konkurrenten versammeln.
Die CDU-Landtagsfraktion tröstete sich am Freitag mit der Tatsache, dass drei Verfassungsrichter ein Sondervotum abgaben und die Abschaffung der Stichwahl sehr wohl für juristisch darstellbar hielten. „Mit dem heutigen Urteil zur Stichwahl weicht der Verfassungsgerichtshof von seiner eigenen, bisherigen Rechtsprechung ab“, behauptete Rechtsexperte Jörg Geerlings trotzig. Der für Wahlen zuständige Innenminister Herbert Reul (CDU) gab sich derweil als demütiger Verlierer: „Ich hätte zwar einen anderen Ausgang lieber gesehen“, sagte er, aber immerhin herrsche nun Rechtsklarheit.
Vor allem ein Umstand trieb das Verfassungsgericht offenbar um: Wäre die Stichwahl tatsächlich abgeschafft worden, hätten Bewerber ins Amts kommen können, die theoretisch sogar eine Mehrheit ihrer Kommune gegen sich hätten.
Die Wahlbeteiligung bei Stichwahlen lag zwar zuletzt nur durchschnittlich bei 33 Prozent. Aber die Kommunalwahl 2015 etwa zeigte, dass die siegreichen Kandidaten dabei in 45 von 49 Fällen mehr Stimmen als im ersten Wahlgang erzielten. In einem Drittel der Fälle konnte der vormals Zweitplatzierte die Wahl am Ende für sich entscheiden. Und mit dem Schrumpfen den einstigen Volksparteien CDU und SPD dürfte die Bedeutung der Stichwahl eher noch größer werden.