Düsseldorf. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat mit der geplanten Abschaffung der Bürgermeister-Stichwahlen hoch gepokert. Und viel verloren.

Es ist die vielleicht schwerste Niederlage für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit. Das Verfassungsgericht hat die Pläne seiner schwarz-gelben Koalition durchkreuzt, beim Bürgermeister-Entscheid im Herbst 2020 die Stichwahlen wieder abzuschaffen. Das Vorhaben stand von Anfang an unter Trickserei-Verdacht: Es ging der Regierungskoalition erkennbar darum, die Erfolgschancen der CDU-Kandidaten in wichtigen Großstädten zu erhöhen. In einer veränderten politischen Landschaft mit drei mittelgroßen Parteien CDU, SPD und Grünen gibt es die Erwartung, dass sich in einem zweiten Wahlgang die rot-grünen Sympathisanten doch noch einmal zu einem Lager mit struktureller Mehrheit verbinden könnten. Für schwarze Kandidaten, selbst mit Amtsbonus und ordentlicher Bilanz, wird es nun deutlich schwerer. Die Zeiten absoluter Mehrheiten im ersten Anlauf sind ja fast überall vorbei.

Kommunalwahlen 2020 sind ein Fingerzeig Richtung Landtagswahl 2022

Der Kommunalwahl 2020 werden für die politische Zukunft in NRW seismografische Effekte zugeschrieben: Hier entscheidet sich, ob die SPD ihr altes „Stammland“-Potenzial noch einmal aktivieren kann. Ob sich die Laschet-CDU Richtung Landtagswahl 2022 als dauerhafte Mehrheitspartei in NRW etablieren kann. Oder ob die aktuellen Umfrage-Gipfelstürmer von den Grünen – ähnlich wie in Baden-Württemberg – über die Kommunen einen Weg zur Macht im Land finden. Kein Wunder also, dass verbissen um den taktischen Vorteil gerungen wird.


Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass ein Herumdoktern am Wahlrecht nicht Teil der politischen Auseinandersetzung werden darf. Die Beteiligung der Bürger am zweiten Wahlgang mag vielerorts wenig berauschend sein. Aber dass eine Abschaffung der Stichwahl in einer eher zersplitterten Parteienlandschaft zu einem Mehr an Demokratie führen soll, war nur schwer glaubhaft zu machen. NRW wäre das einzige deutsche Bundesland ohne Bürgermeister-Stichwahl geworden, Minderheitenbürgermeister an Rhein und Ruhr womöglich sogar die Regel. Das abweichende Votum von drei Verfassungsrichtern zeigt zwar, dass man auch die Gegenposition juristisch herleiten könnte, aber das riskante Vorgehen der Regierungskoalition bleibt insgesamt unverständlich.

Die Landesregierung gerät nicht zum ersten Mal mit Justitia aneinander

Die CDU verfügt über eine Reihe von erfolgreichen Bürgermeistern, die eine Stichwahl gar nicht zu scheuen bräuchten. Sie müssen nach der derben Gerichtsklatsche fürchten, dass der linksliberale Teil der Stadtgesellschaft mögliche Wechselwähler gegen sie mobilisieren kann. Die zum Teil beleidigten Belehrungen der CDU-Landtagsfraktionen nach dem Urteil Richtung Verfassungsgericht machen alles nur noch schlimmer. Die FDP steht als selbst ernannte „Rechtsstaatspartei“, die noch 2011 für die Einführung der Stichwahl gestimmt hat, ohnehin blamiert da.


Ministerpräsident Laschet, der inzwischen im Wochenrhythmus mit Kanzler-Ambitionen in Verbindung gebracht wird, dürfte mit dem Richterspruch vorerst auf den Boden des schnöden Regierungshandwerks in Düsseldorf zurückgeholt werden. Nicht zum ersten Mal gerät seine Regierung mit Justitia in Konflikt. Der Abschiebefall Sami A., der Streit um die Diesel-Fahrverbote, die vorbereitete und dann abgesagte Rodung des Hambacher Forsts – immer wieder knirschte es zwischen den Gewalten. Natürlich unterlaufen einer Regierung, die viel macht, auch Fehler. Nur sollte man die rechtlichen Grenzen nicht ohne Not austesten. Bei der Stichwahl war das der Fall.