Düsseldorf. Für viele ist der Griff nach einem Antibiotikum fast selbstverständlich. Das ist riskant. NRW startet eine Kampagne gegen den Leichtsinn.

Weil in NRW zu viele Antibiotika verschrieben und eingenommen werden, wollen Ärzte, Apotheker, Krankenversicherungen und Landespolitik die Bürger für den „sachgemäßen Umgang“ mit diesen lebenswichtigen Medikamenten sensibilisieren. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte am Montag die Kampagne „Rationale Antibiotikaversorgung“ vor. Mit Faltblättern, Plakaten, Infos in sozialen Netzwerken und einer „Aktionswoche“ im Februar wird für Zurückhaltung bei der Einnahme von Antibiotika geworben. In NRW liegen die Verordnungen dieser Arzneien zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Die übermäßige Verwendung begünstigt die Entstehung von resistenten Bakterien.

„Wir müssen dieses wunderbare Medikament für die nächste Generation erhalten“, sagte NRW-Gesundheitsminister bei der Vorstellung der neuen Kampagne „Rationale Antibiotikaversorgung“. Er appellierte am Montag an Mediziner und Patienten, diese wohl wichtigsten Arzneien der Menschheit im Kampf gegen Infektionskrankheiten sparsamer und vernünftiger als bishereinzusetzen. Denn: „Unser schärfstes Schwert droht stumpf zu werden!“

Es ist nicht die erste Kampagne in NRW gegen den falschen Umgang mit Antibiotika, und es dürfte auch nicht die letzte sein. Statistisch betrachtet bekommt etwa ein Drittel der gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland mindestens einmal im Jahr ein Rezept für ein Antibiotikum. Diverse Initiativen und Projekte wirken zwar – die Antibiotika-Verordnung sank zwischen 2020 und 2018 in Deutschland laut einer Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung um 21 Prozent –, aber im vergangenen Jahr wurden Antibiotika immer noch 32 Millionen Mal an Patienten verschrieben, mit 316 Millionen Tagesdosen. In der Human- und Tiermedizin werden jährlich je rund 700 Tonnen Antibiotika verordnet.

„Ein Antibiotikum ist kein Lutschbonbon“

Antibiotika sind unverzichtbar, um Leben zu retten. Die übermäßige Verwendung hat aber fatale Folgen. Denn dadurch werden Bakterien widerstandsfähig gegen diese Medikamente, die dann möglicherweise nicht mehr wirken. „Ein Antibiotikum ist kein Lutschbonbon“, warnt Karlheinz Großgarten, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. In vielen Fällen sei es besser, nicht gleich den Rezeptblock zu zücken. „Bei viralen Infekten wie Erkältung oder Grippe lindern Antibiotika weder Symptome noch helfen sie, schneller gesund zu werden“, sagte Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Durch Antibiotika können nur Bakterien bekämpft werden. In neun von zehn Fällen seien aber Viren die Auslöser einer Erkältungskrankheit. Laut Apothekerkammer sollten Patienten bei einer Erkältung besser zu schmerz- und fiebersenkenden Mitteln und zu Nasensprays greifen.

In vielen Fällen, so Overwiening, hätten Patienten schon in der Apotheke vergessen, welche Anwendung des Antibiotikums ihnen der Arzt kurz zuvor empfohlen hat. Wenn Erkrankte das Antibiotikum nicht vorschriftsgemäß einnehmen oder die Behandlung vorzeitig abbrechen, dann könnten die Bakterien, die noch nicht abgetötet wurden, „lernen“, mit dem Medikament umzugehen und eine Resistenz entwickeln.

Schätzung: Bis zu 20 Prozent der Verordnungen überflüssig

Ähnlich wichtig wie die vorschriftsgemäße Einnahme sei die Vorbeugung gegen durch Viren verursachte Erkältungskrankheiten, zum Beispiel durch eine Impfung, gründliches Händewaschen und das Verwenden von Einmaltaschentüchern, so Ackermann. Er schätzt, dass etwa zehn bis 20 Prozent der Antibiotika-Verordnungen bei Grippe- und Erkältungskrankheiten nicht notwendig seien. Ein Schnelltest beim Arzt könnte Aufschluss geben, ob ein Infekt bakteriell oder viral verursacht sei. In vielen Fällen sei es angebracht, zunächst den Selbstheilungskräften des Körpers zu vertrauen.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Verschreibungshäufigkeit im unteren Drittel. In Südeuropa sei die Bereitschaft, Antibiotika zu verschreiben und einzunehmen, deutlich größer als hierzulande, sagte Laumann. Politischen Druck gegen Mediziner lehnt der Minister ab. „Es ist wichtig, dass Ärzte eine Therapiefreiheit haben“, sagte er.