Essen. Erstmals seit Jahrzehnten haben die hoch verschuldeten Revierstädte ein nennenswertes Haushaltsplus erzielt. Doch das ist teilweise teuer erkauft.
Jahrzehntelang kannten die Haushaltszahlen der Ruhrgebietsstädte nur eine Farbe: rot. 2017 wendete sich das Blatt. Erstmals seit Beginn der Kommunalfinanzauswertung durch den Regionalverband Ruhr (RVR) konnten die Finanzexperten des Verbandes einen insgesamt positiven Saldo aller städtischen Haushaltsabschlüsse im Revier verzeichnen. 2018 nun machte die Kurve kommunaler Haushaltsüberschüsse nochmals einen deutlichen Knick nach oben.
Sprudelnde Steuereinnahmen
Sprudelnde Steuereinnahmen, Entlastungen durch den Bund und eigene Sparerfolge haben im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass die kommunalen Überschüsse nun sogar mehr als nur eine schwarze Null ausmachten: Insgesamt eine Milliarde Euro oder 198 Euro pro Ruhrgebietsbewohner lagen die kommunalen Haushalte im Plus. „Die Lage der Kommunalfinanzen im Ruhrgebiet war noch nie so gut“, freute sich denn auch der Finanzexperte Martin Junkernheinrich bei der Vorstellung des aktuellen Kommunalfinanzberichtes des RVR am Montag in Essen.
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Allerdings schob der Finanzprofessor der TU Kaiserslautern seiner in Grundzügen positiven Analyse der Revierfinanzen ein deutlich vernehmbares Aber hinterher. Man dürfe sich nicht von der Statistik blenden lassen, betonte Junkernheinrich. Denn: Ein Großteil des Überschusses sei teuer erkauft - etwa durch den Griff der Kämmerer in die Pensionsrücklagen der Städte, durch Abschreibungen und durch den Verzicht auf zum Teil eigentlich dringend nötige Investitionen in die Infrastruktur. Heißt: Hinter dem Milliardenüberschuss steckt jede Menge Buchungstechnik.
„Keine echte Trendwende“
Was das für eine einzelne Stadt heißt, machte Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD) am Beispiel seiner Stadt deutlich: Zwar habe Herne 2018 einen bilanziellen Überschuss von 31 Millionen Euro vorweisen und 27 Millionen Euro Kassenkredite abbauen können. Unterm Strich aber sei die Stadt nur mit rund 3,1 Millionen Euro flüssig gewesen. Dudda: „Damit können Sie keine großen Sprünge machen.“
Auch RVR-Direktorin Karol Geiß-Netthöfel und der Vorsitzende der RVR-Verbandsversammlung, Josef Hovenjürgen, warnten vor übereilter Euphorie. Niemand dürfe sich trotz des positiven Trends zurücklehnen oder den Kommunen ohne hinreichende Gegenfinanzierung neue Aufgaben aufbürden, sagte die RVR-Chefin mit Blick auf die ständige Sorge der Städte vor in Berlin beschlossenen Wohltaten, die am Ende kommunal finanziert werden müssen. Hovenjürgen freute sich, dass die gute Wirtschaftslage endlich auch im Ruhrgebiet durchschlage. Eine echte Trendwende sieht der CDU-Politiker und langjährige NRW-Landtagsabgeordnete indes auch deshalb nicht erreicht, „weil wir substanziell hinter anderen Regionen in Deutschland zurückliegen.“
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Besonders benachteiligt sehen sich die Revierstädte in der Schuldenfrage. Altschulden. Trotz guter Konjunktur sind die meisten Revierstädte aus eigener Kraft nicht in der Lage, ihre in Jahrzehnten aufgetürmten Kassenkredite im großen Stil abzubauen. Laut Berechnungen von Finanzexperten haben die Städte ihren Kommunaldispo zur Finanzierung laufender Ausgaben bundesweit um rund 43 Milliarden Euro überzogen, ein Drittel davon entfallen auf das durch den Strukturwandel und exorbitante Sozialkosten besonders belastete Ruhrgebiet.
Die kommunale Schuldenproblematik ist in Deutschland also sehr ungleich verteilt. Es gibt ganze Landstriche, in denen das Phänomen überschuldeter Städte völlig unbekannt ist. In anderen Regionen wie dem Ruhrgebiet und Teilen von Hessen konzentriert sich die Problematik hingegen. „Von den grundgesetzlich geforderten gleichwertigen Lebensverhältnissen im Land sind wir dadurch weit entfernt“, sagte Junkernheinrich.
Bund will die Hälfte der Schulden übernehmen
Der Finanzexperte und die die RVR-Spitze appellierten am Montag erneut an Bund und Land, sich in der Altschuldenfrage der betroffenen Städte zu einigen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe ja bereits angeboten, dass der Bund die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen würde. Nun sei auch das Land NRW gefordert mitzuziehen. Dem Finanzexperten schwebt eine Modell vor, nach dem der Bund die Hälfte und das Land sowie die betroffenen Kommunen jeweils ein Viertel der Schulden übernehmen würden. Zugleich müssten die Städte dauerhaft in die Lage versetzt werden, keine neuen Schulden mehr aufbauen zu müssen. Das Revier müsse aus dem Dilemma unterdurchschnittlicher Steuereinnahmen und überdurchschnittlicher Sozialausgaben herauskommen.
Hier legte noch einmal Hernes OB Dudda nach. Dem SPD--Politiker ist die derzeit herrschende Praxis bei der Verteilung von Sozialleistungen ein Dorn im Auge. „Es geht nicht an, dass die Zuteilung der Sozialmittel des Bundes sich am Gemeindeanteil der Umsatzsteuer orientiert“, kritisierte Dudda. Das führe zu der absurden Situation, dass ausgerechnet reiche Städte automatisch mehr Sozialleistungen erhalten als arme.