Essen/Düsseldorf. Verschwinden die Schuldenberge? Städte und Grüne fordern ein Konzept von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.
In der Frage der Altschuldenhilfe für Kommunen insbesondere im Ruhrgebiet wächst der Druck auf die schwarz-gelbe Landesregierung. „Die Zeichen verdichten sich, dass der Bund die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen will. Das ist ein großer Durchbruch. Nun ist das Land am Zug, seinen Anteil zu benennen“, sagte Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) der WAZ.
Auch der Städtetag NRW dringt auf eine rasche Einigung. „Wir hoffen sehr, dass zwischen Bund und Ländern nun endlich Bewegung in das Thema kommt, damit ein Konsens gelingt. Dabei erwarten wir weiterhin, dass das Land für seine stark verschuldeten Kommunen ein eigenes Konzept vorlegt“, sagte Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetages NRW.
Laschet sagt Eigenanteil des Landes zu
Die Grünen im Landtag nehmen insbesondere Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in die Pflicht. Laschet hatte Anfang dieser Woche im Interview mit unserer Redaktion eine Altschuldenhilfe mit einem Eigenanteil des Landes für finanzschwache Kommunen zugesagt. Der kommunalpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Mehrdad Mostofizadeh, forderte Laschet auf, diese Zusage mit einem substanziellen Konzept zu hinterlegen.
NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) sprach gestern von einer „historischen Chance“, die sich beim Thema Altschulden ergebe. Dass der Bund ein Verhandlungsfenster eröffnet habe, sei auch dem Einsatz Nordrhein-Westfalens zu verdanken. „Ich kann nachvollziehen, dass viele unruhig werden“, sagte die Ministerin dieser Redaktion. Man habe aber mit den kommunalen Spitzenverbänden verabredet, gemeinsam in die richtige Richtung zu ziehen, „und das machen wir gerade“, so Scharrenbach.
Die hohen Verbindlichkeiten der Kommunen hemmen die wirtschaftliche Entwicklung im Revier. Fast 15 Milliarden Euro an sogenannten Kassenkrediten türmen sich im Ruhrgebiet auf, weil laufende Ausgaben die kommunalen Einnahmen und Rücklagen weit übersteigen. Damit konzentriert sich fast ein Drittel aller kommunalen Dispokredite in Deutschland an der Ruhr. Nach Einschätzung von Kommunalvertretern ist die Bundesregierung nun offenbar bereit, die Hälfte der deutschlandweit rund 50 Milliarden Euro an kommunalen Kassenkrediten in Bundesschuld zu überführen.
In der vergangenen Woche hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) beim Politischen Forum Ruhr in Essen die Altschuldenproblematik der Ruhrgebietsstädte bereits angesprochen. Die Lasten seien so hoch, dass diese Kommunen aus eigener Kraft nicht mehr davon herunter kämen. „Ich finde, dass wir da was tun müssen“, sagte Scholz und schob noch leiser nach, es handele sich natürlich um eine gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern.
Inzwischen zeichnet sich ab: Olaf Scholz wollte mitten im Revier wohl eine klare Botschaft platzieren. Denn die Signale, dass der Bund die glatte Hälfte der bundesweit knapp 50 Milliarden Euro an kommunalen Kassenkrediten in Bundesschuld übernehmen will, sind kaum mehr zu übersehen. Betroffene Oberbürgermeister wie Gelsenkirchens Frank Baranowski (SPD) und Oberhausens Daniel Schranz (CDU) gehen davon aus, dass der Bund im großen Stil in die kommunale Schuldentilgung einstiegt. Auch der Städtetag NRW will die entsprechenden Zeichen an der Wand erkannt haben. „Es ist ein gutes Signal, wenn im Bundesfinanzministerium über eine weitreichende Übernahme von Altschulden der Kommunen nachgedacht wird“, sagte Städtetag-Geschäftsführer Helmut Dedy unserer Redaktion. Frank Baranowski sprach am Dienstag von einem „Durchbruch“, der in seiner Tragweite so manches aus dem Ideenpool der Ruhrkonferenz in den Schatten stellen würde.
Tatsächlich zählt die Lösung der Altschuldenfrage der Revierkommunen zu den zentralen Herausforderungen dieser Region. Denn trotz deutlich verbesserter Einnahmen und Erfolgen bei der Haushaltskonsolidierung kommen viele hoch verschuldete Städte in NRW beim Abbau ihrer Liquiditätskredite nicht voran. Das bestätigen Finanzexperten seit Jahren. Betroffen ist besonders das Ruhrgebiet. Hier türmen sich rund ein Drittel aller kommunalen Kassenkredite bundesweit auf. Allein Essen hat seinen Kommunaldispo um rund zwei Milliarden Euro ausgeschöpft und damit so viel Dispo-Schulden wie sämtliche Städte und Gemeinden Niedersachsen zusammen (siehe Grafik). In Dortmund sind es 1,5 Milliarden, in Oberhausen genau so viel.
Die Zahlen sind so hoch, dass die Kommunen ihre Schuldenberge aus eigener Kraft kaum mehr abtragen können. „Es würde dauerhafte Haushaltsüberschüsse in einer Höhe erfordern, die auch bei verschärften Sparbemühungen nicht erzielbar wären und von den Bürgern wohl kaum mitgetragen würden“, meint etwa der Kommunalfinanzwissenschaftler Martin Junkernheinrich. Frank Baranowski etwa rechnet vor, dass der Abbau der Gelsenkirchener Kassenkredite in Höhe von 633 Millionen Euro selbst bei stabiler Konjunktur und gleichbleibenden Niedrigzinsen bis zum Jahr 2109 dauern würde.
„Historische Chance“
Die nicht durch Investitionen in die städtische Infrastruktur abgesicherten Kassenkredite sind für die Kommunen zudem eine Art tickende Zeitbombe. Trotz historischer Niedrigzinsen belastet der Schuldendienst die städtischen Haushalte schon jetzt über Gebühr. In Dortmund werden jährlich 20 Millionen Euro fällig, in Gelsenkirchen mehr als zehn Millionen. Sollte die Zinsen steigen, droht den Städte der finanzielle Kollaps.
Mehrdad Mostofizadeh sieht deshalb eine historische Chance gekommen: „Sollte der Bund tatsächlich die Hälfte der Kosten übernehmen, könnte NRW allein mit der Fortführung der Mittel aus dem Stärkungspakt eine vollständige Entschuldung erreichen“, so der kommunalpolitische Sprecher der Landtags-Grünen.
Dennoch: Für Frank Baranowski ist es mit der Entschuldung nicht allein getan. „Was wir brauchen, ist eine deutliche Entlastungen bei den uns durch Bund und Land aufgebürdeten Soziallasten“, sagt Gelsenkirchens OB. Sonst sei der nächste Schuldenberg schon in Sichtweite.
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