Düsseldorf. NRW kämpft gegen Clans. Aber die Regierung hat keinen Überblick, wie viele Ermittlungs-Verfahren gegen Clan-Kriminelle laufen.
Die NRW-Landesregierung hat kriminellen Clans den Kampf angesagt. Dabei weiß sie nicht einmal, wie viele Verfahren inzwischen gegen Clan-Kriminelle eingeleitet wurden. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) räumte in einem Bericht an den Rechtsausschuss ein, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte die Straf- und Ermittlungsverfahren gegen Clanmitglieder gar nicht gesondert erfassen. Im Ausschuss sagte er sogar, die Justiz müsse erst noch definieren, was Clan-Kriminalität überhaupt ist.
Biesenbachs Amtsvorgänger, der heutige SPD-Landtags-Fraktionschef Thomas Kutschaty, kritisiert dieses Unwissen scharf. „Die Zusammenarbeit zwischen dem Innen- und dem Justizministerium bei der Clan-Kriminalität funktioniert nicht. Wenn der Innenminister die Bekämpfung der Clankriminalität zum Hauptschwerpunkt erklärt, dann muss er sich mit Justizminister Peter Biesenbach eng abstimmen. Bisher gibt es aber nicht einmal eine gemeinsame Definition, was Clan-Kriminalität ist.“, sagte Kutschaty dieser Redaktion. Minister A habe also keine Ahnung, was Minister B mache.
Erste Zahlen zu Clan-Kriminalität in Duisburg waren wohl doch nicht sehr konkret
Anfang des Jahres hatte das NRW-Justizministerium eine erste Bilanz der so genannten „Staatsanwälte vor Ort“ im Duisburger Norden zur Clan-Kriminalität veröffentlicht. Es wurden damals auch konkrete Zahlen über die erzielten Erfolge der speziell für Clan-Ermittlungen eingesetzten Staatsanwälte genannt: 260 Ermittlungsverfahren seien eingeleitet, 19 Haftbefehle erlassen, 655.000 Euro sicher gestellt worden. Neun Monate später sagte der Justizminister im Ausschuss, dass es sich dabei nicht nur um Clan-Kriminelle gehandelt habe. Es sei auch „viel Beifang“ dabei gewesen. SPD-Mann Kutschaty spricht daher von einem „Etikettenschwindel“.
Justizminister Peter Biesenbach weist die Vorwürfe seines Amtsvorgängers auf Nachfrage „entschieden zurück“. Arbeitsgrundlage der Regierung für den Begriff „Clankriminalität“ sei das entsprechende Lagebild des Landeskriminalamtes (LKA) aus dem Jahr 2018. Darin heißt es: „Der Begriff ,Clankriminalität' ist nicht einheitlich definiert.“ In der Polizei gebe es weder im Bund noch in den Ländern ein einheitliches Verständnis darüber, welche Kriterien einen Clan ausmachen und ab wann eine Gruppe einem Clan zuzurechnen ist.
Lagebild Clankriminalität spricht von 104 türkisch-arabischen Clans
Hinter dem Phänomen Clankriminalität würden sich laut Justizministerium die unterschiedlichsten Delikte verbergen. Daher sei es auch sehr schwer, auf die unklare Definition eine tragfähige Statistik zur Erfassung der einzelnen, kriminellen Clans zuzuordnenden Straftaten zu „bauen“.
Wer in das „Lagebild Clankriminalität" des Landeskriminalamtes schaut, muss den Eindruck gewinnen, dass die Sicherheitsbehörden sehr genau wissen, mit wem sie es hier zu tun haben: Für den Zeitraum von 2016 bis 2018 konnten 104 türkisch-arabische Familienclans identifiziert werden. 6449 Verdächtigen wurden 14.225 Straftaten zugeordnet. Doch die Frage, wie viele Verfahren gegen Clan-Mitglieder eingeleitet wurden, bleibt im NRW-Justizministerium unbeantwortet.
Das lasse sich auch nicht klar beantworten, heißt es aus dem Ministerium. Es gebe „auf polizeifachlicher Ebene“ nicht einmal ein einheitliches Verständnis darüber, was Clan-Kriminalität genau sei. Die Definition des LKA, der sich die Landesregierung anschließe, lehne sich an die Definition der Organisierten Kriminalität an. Grob ließe sich nur sagen, dass Clans ethnisch geschlossen und familiär abgeschottet seien.
Clankriminalität - was ist das überhaupt?
Entsprechend vage bleibt der Versuch der Landesregierung, das Phänomen kriminelle Clans zu beschreiben. Sie versteht darunter „die vom Gewinn- und Machtstreben bestimmte Begehung von Straftaten unter Beteiligung Mehrerer“. Dabei spiele die Familie oder die Herkunft eine Rolle, die Bedeutung der Straftaten und das Ablehnen der deutschen Rechte und Werte.
Nach dieser Definition könne man einzelne Straftaten von Clan-Mitgliedern nicht statistisch erfassen. Justizminister Peter Biesenbach sagt: „Hinter dem Phänomen der Clankriminalität verbergen sich die unterschiedlichsten Delikte. Statistische Zahlen der Justiz können deshalb nur zu einzelnen Projekten der Staatsanwälte vor Ort in Duisburg und Essen, die in Zusammenarbeit mit Polizei, Zoll und anderen Partnern Clan-Kriminalität lokal bekämpfen, verlässlich erhoben werden.“
Kutschaty (SPD): "Man jagt nur die Boten, nicht die Bosse."
Für Biesenbachs Amtsvorgänger Thomas Kutschaty (SPD) sind solche Antworten Anzeichen dafür, dass der Kampf gegen Clankriminalität in NRW womöglich eher eine Show für die Bevölkerung als effektive Ermittlungsarbeit ist. „Wir erleben öffentlichkeitswirksame Razzien, bei denen unversteuerter Tabak sichergestellt wird. Aber man jagt da nur die Boten der Clans, nicht die Bosse. Bisher wurde kein Clanchef in NRW festgenommen“, sagte der Landtags-Oppositionsführer. Aber an diese Bosse „müsse man ran, an ihr Vermögen, an ihre Immobilien“.
In Berlin, rechnet Kutschaty vor, seien schon 77 Clan- Immobilien beschlagnahmt worden, die Mieteinnahmen flössen in den dortigen Landeshaushalt. In Essen hingegen „gibt es jetzt weniger Polizei und insgesamt kümmern sich zum Beispiel nur sechs Beamte um die Clan-Kriminalität.“