Düsseldorf. 10.200 Kinder in NRW hatten 2017 keinen Impfschutz. Die Barmer spricht von einem „besorgniserregenden“ Trend – auch was Erwachsene betrifft.

In nordrhein-westfälischen Familien gibt es eine zunehmende Impfmüdigkeit: Seit 2011 ist der Anteil der Zwei- bis Sechsjährigen ohne jeglichen Impfschutz gestiegen. Das geht aus regionalen Daten des Barmer-Arzneimittelreports 2019 hervor, die unserer Redaktion vorliegen.

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Zwar erzielt NRW im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern eine relativ hohe Impfquote – etwa sind hier 80,8 Prozent der Ein- bis Zweijährigen gegen alle bedrohlichen Infektionskrankheiten geimpft, während das in Bayern nur auf etwa 72,5 Prozent der Kleinkinder zutrifft. Allerdings ist auch in NRW ein Trend zu mehr Zurückhaltung beim Impfen erkennbar. 2017 lebten rund 10.200 Kinder in NRW, die keine der in Deutschland empfohlenen Impfungen erhalten haben, heißt es im Barmer-Report, der laut der Krankenkasse erstmals die tatsächliche Impfquote bei Kindern und Jugendlichen ermittelt.

Besonders viele Masernfälle im Jahr 2017 - die meisten in Duisburg

Kinder sollten nach Empfehlung der Ständigen Impfkommission im Laufe ihrer ersten beiden Lebensjahre gegen 13 Infektionskrankheiten geschützt werden – darunter Keuchhusten, Kinderlähmung, Windpocken, Masern und Röteln. 1,9 Prozent der Kinder, die im Jahr 2011 in NRW geboren worden sind, haben allerdings keine der Impfungen erhalten. Unter den 2015 geborenen Kindern sind es bereits 2,5 Prozent der Kinder. Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer, spricht von einer „besorgniserregenden“ Entwicklung, gegen die man mehr tun müsse als die jüngst vom Bundestag beschlossene Impflicht gegen Masern.

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In NRW waren zuletzt lediglich 83,3 Prozent der Zweijährigen vollständig gegen Masern geimpft - und somit auch gegen Mumps und Röteln, gegen die bei der Masernimpfung direkt mit immunisiert wird. Bei den Sechsjährigen waren es 90,6 Prozent. Um eine Erkrankung vollständig auszurotten und auch Säuglinge oder Schwangere zu schützen, die keine Impfung erhalten können, ist eine Impfquote von mindestens 95 Prozent nötig.

In NRW gab es im Jahr 2017 einen besonders großen Masernausbruch. Während in den Jahren davor nur grob 200 Fälle bekannt waren, stieg die Zahl der Fälle 2017 auf 552, darunter alleine 332 Fälle in Duisburg. Der Ausbruch in Duisburg wurde nach Angaben des Landeszentrums Gesundheit durch Einwanderung aus Osteuropa begünstigt.

Vorliebe für Homöopathie hat Einfluss auf Impfentscheidung

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„Eine verpflichtende Impfung von Kindern allein kann das Risiko einer Masern-Epidemie nicht eindämmen“, sagte der Barmer-Landeschef Beckmann. Um Impflücken zu schließen, seien Fortbildungsprogramme für Ärzte, die den Dialog mit Impfskeptikern trainieren, sowie eine konsequente Erinnerung auch im Erwachsenenalter wichtig.

Denn auch viele Menschen über 18 Jahre wissen nicht, was überhaupt in ihrem Impfpass vermerkt ist. Fast jeder dritte Erwachsene in NRW ist sich laut Barmer nicht sicher, ob sein Impfstatus ausreicht. Etwa ein Viertel aller Erwachsenen im Bundesland kennt die aktuellen Impfempfehlungen nicht.

Sonderfall Rotaviren

Bei den meisten Infektionskrankheiten in NRW liegt eine Impfquote um die 80 Prozent vor - nur bei Rotaviren ist die Impfquote mit 66,4 Prozent auffällig niedrig. Im Barmer-Arzneimittelreport werden dafür mehrere Gründe genannt: Zum einen können Rotaviren nicht zum Tod oder zu Dauerschäden führen.

Ebenso wird die Impfung gegen die Viren erst seit Ende 2013 als Kassenleistung anerkannt und kann nur durch einen Einzelwirkstoff erfolgen. Eine Herdenimmunität - also eine Ausrottung der Krankheit bei einer Impfquote von 95 Prozent - kann außerdem nicht erreicht werden.

Auch sind es Faktoren der Eltern, die den entscheidenden Einfluss auf den Impfschutz der Kinder haben: Laut Barmer-Report haben Aspekte wie eine Vorliebe für Homöopathie oder der Berufsstand der Eltern Einfluss auf die Impfentscheidung. Bei Kindern mit besonders jungen oder älteren Müttern ist die Wahrscheinlichkeit ebenfalls höher, dass sie nicht vollständig geimpft werden.

NRW-Kampagne für mehr Impfschutz

„Heutzutage haben Infektionskrankheiten für viele ihren Schrecken verloren. Dies hat dazu geführt, dass die Notwendigkeit einer Impfung von vielen nicht mehr gesehen wird“, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann zu den Ergebnissen des Arzneimittelreports. Oft hätten Betroffene deshalb schlichtweg vergessen, sich impfen zu lassen. Erreichen möchte die NRW-Landesregierung die Impfmüden unter anderem mit Plakaten und Postkarten im Rahmen der neuen Kampagne „Impfcheck NRW – jetzt Impfschutz prüfen“.