Essen. Die AfD wird auch in NRW immer radikaler. Geht vom starken Abschneiden der Partei im Osten eine Signalwirkung für den Westen aus?

Ob von einem starken Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg eine Signalwirkung für die westdeutschen Bundesländer ausgeht, ist bei Beobachtern umstritten. „Wahlerfolge der AfD würden auch in NRW dem rechten Spektrum starken Auftrieb geben“, meint Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler und Rechtsextremismusexperte an der Hochschule Düsseldorf, der WAZ.

„Es droht die Gefahr einer Normalisierung rechtsradikaler Politikansätze“, so Häusler weiter. Wenn die AfD in Sachsen und Brandeburg auf Augenhöhe mit den Regierungsparteien liegt, sei das für die Anhänger ein Zeichen dafür, dass die Partei in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei und sich als die „wahre Vertretung des Volkes“ verstehen könne.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg Essen glaubt indes nicht an eine Signalwirkung für den Westen. „Das hat keine Auswirkungen“, so Korte zur WAZ. Ein starkes Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen im Osten würde „nur die Vorurteile des Westens gegenüber dem Osten bestätigen“. Allerdings verweist er darauf, dass die Zahl der AfD-Wähler im Westen weitaus höher sei. Bei der Bundestagswahl haben im Westen 4,8 Millionen Menschen ihr Kreuz bei der AfD gemacht, im Osten waren es 1,7 Millionen, betont Korte.

Wie stark ist die AfD in Brandenburg und Sachsen?

Letzte Umfragen sahen die AfD in Sachsen bei rund 25 Prozent, die CDU kommt auf 32 Prozent. Die Partei von Ministerpräsident Michael Kretschmer verzeichnete in den letzten Wochen einen leichten Zuwachs. Eine Fortführung der Groko mit der SPD erscheint indes unwahrscheinlich, da der bisherige Koalitionspartner in Umfragen zu schlecht abschnitt. In Brandenburg hofft SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke, weiterhin eine Regierung unter seiner Führung bilden zu können. Seine Partei lag zuletzt bei etwa 22 Prozent – praktisch gleichauf mit der AfD (21 Prozent).

Welche Auswirkungen auf NRW sehen die Experten?

Zwar ließen sich die politischen Verhältnisse nicht auf NRW übertragen, dennoch könne gerade Sachsen zu einer Art „Blaupause“ für einen Wandel der politischen Kräfteverhältnisse werden, eine Art „Modellprojekt für Veränderungen im politischen Raum“, wie Häusler sagt. In der CDU Sachsens gebe es Stimmen, die eine verdeckte oder offene Kooperation mit der AfD nicht mehr grundsätzlich ausschließen, führt der Wissenschaftler aus. „Das kann dazu führen, dass die Grenzlinie zwischen den etablierten Parteien und der AfD brüchig wird“, so Häusler

Karl-Rudolf Korte glaubt hingegen nicht, dass die Wahlen im Osten einen Effekt auf NRW haben werden. „Der Zenit der AfD ist längst erreicht. In dem Maße, in dem Wähler von der AfD ein politisches Gestaltungsprogramm erwarten – weniger europäisch, weniger offen, weniger heterogen – können andere Parteien ihre Angebote nachbessern, ohne die AfD rechts zu überholen.“ Das Parteiensystem in NRW sei „vital und robust“, so Korte. Eine Verschiebung zugunsten der AfD sei nicht in Sicht.

Nach Ansicht des Extremismusforschers Häusler hat sich die AfD durch das Erstarken des rechten „Flügels“ um den thüringischen Landeschef Björn Höcke bundesweit deutlich radikalisiert. „Auch die westdeutschen Landesverbände werden zunehmend geprägt durch den rechten Populismus im Osten“, beobachtete Häusler. „Den Rechtsruck im Osten vollziehen die westdeutschen Landesverbände nach.“

Warum wurde die AfD so stark?

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Von Verena Müller, Philipp Neumann und Theresa Martus

Mit der Strategie, sich als Anwalt des angeblich entrechteten und abgehängten Teils der Bevölkerung zu inszenieren, habe die AfD gepunktet, sagt Häusler. Ihr sei es gelungen, soziale und ur-linke Themen mit rechten Inhalten zu füllen. Im Osten geriert sich die Partei zudem als „Vollender einer nicht vollendeten Wende“ und stellt sich als Erbe der Bürgerrechtsbewegung dar.

Die Partei füttere geschickt die Gefühle von Deklassierung und fehlender Anerkennung mit rechten Parolen, so Häusler. Man müsse verhindern, dass der Osten genauso „verdorben“ und „islamisiert“ werde wie es der Westen bereits sei.

Wo sind die Hochburgen der AfD in NRW?

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Eine Ursache für das Erstarken der AfD im Westen sieht der Sozialwissenschaftler auch im Versagen der SPD, ihre bisherige Kernklientel anzusprechen und zu motivieren. Studien zeigten, dass viele, die zuvor links gewählt hatten, zur AfD gewechselt sind. „Die Sozialdemokraten haben ihre Rolle als Kümmerer der kleinen Leute an die AfD verloren.“ Diese Analyse wird durch die Resultate der NRW-Landtagswahl 2017 sowie der Europawahl 2019 bestätigt. Im Ruhrgebiet holte die AfD ihre besten Ergebnisse. In Gelsenkirchen wählten 16,4 Prozent die AfD, auch in Herne, Bottrop oder Oberhausen holte sie Spitzenwerte.

Ergebnisse der NRW-Landtagswahl 2017 und der Europawahl 2019.
Ergebnisse der NRW-Landtagswahl 2017 und der Europawahl 2019. © funkegrafik nrw | Miriam Fischer

Wo steht die AfD in NRW aktuell?

Aktuelle Prognosen sehen die Partei auf dem Sinkflug. Seit Mai 2018 erzielte sie in Umfragen jeweils Ergebnisse im zweistelligen Bereich bis zu 13 Prozent. Seit Anfang 2019 sanken jedoch die Zustimmungswerte auf zuletzt nur noch sieben Prozent ab. Dies ergab eine Forsa-Umfrage im August 2019.

Dass die AfD in NRW bislang nicht flächendeckend Fuß fassen konnte, liege auch an der langen Erfahrung mit Migration, Zuwanderung und Vielfalt. Dennoch bildeten auch hier die Unzufriedenen und sozial Benachteiligten ein großes Wählerpotenzial, so Häusler.

Wie arbeitet die AfD seit 2017 im Düsseldorfer Landtag?

Die AfD ist im NRW-Landtag weitgehend isoliert und intern von Beginn an zerstritten. Wenige Monate nach der Landtagswahl verließen drei AfD-Politiker Fraktion und Partei, darunter der frühere AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell. Sie sitzen seitdem als parteilose Abgeordnete im Parlament.

Die Fraktion ist – wie die ganze AfD in NRW – in Lager gespalten. Die meisten der noch 13 Abgeordneten sehen sich selbst als „bürgerlich-konservativ“, obwohl auch sie im Landtag durch rechte Provokationen auffallen. Zwei Fraktionsmitglieder gehören zum völkisch-nationalistischen „Flügel“, der Björn Höcke nahe steht: Thomas Röckemann und Christian Blex. Die „Flügel“-Anhänger in NRW, hoffen auf ein starkes Abschneiden der AfD im Osten, weil sie dann ihren Rechtsaußen-Kurs bestätigt sehen würden.