Düsseldorf. Das Tauziehen um die Bürgermeister-Stichwahlen geht weiter. SPD und Grüne ziehen vor Gericht. CDU und FDP haben die Stichwahl gerade erst gekippt.

SPD und Grüne haben, wie angekündigt, beim Landesverfassungsgericht Klage eingereicht, um die Wiedereinführung der von CDU und FDP gerade gekippten kommunalen Stichwahlen zu erzwingen. Die Kläger hoffen auf eine zügige Entscheidung, denn die nächste Kommunalwahl steht schon im Herbst 2020 an. Zur Begründung der Klage sagte SPD-Kommunalexperte Stefan Kämmerling, Schwarz-Gelb habe „aus machttaktischen Gründen am Kommunalwahlrecht gefummelt.“ Die Abschaffung der Stichwahl führe vielerorts zu „Minderheiten-Bürgermeistern“, die sich nur auf die Zustimmung relativ weniger Wähler stützen.

Der renommierte Staatsrechter Martin Morlok hat die Normenkontrollklage im Auftrag von SPD und Grünen vorbereitet. Der Professor sieht in der Abschaffung der Stichwahl von Bürgermeistern und Landräten ein „erhebliches Demokratieproblem“. Der Verfassungsgerichtshof hatte zwar vor zehn Jahren die Abschaffung der Stichwahl gebilligt. Die Richter hielten die nur durch einen Wahlgang ins Amt gekommenen Bürgermeister für ausreichend legitimiert, verpflichteten aber den Landtag damals dazu, die Entwicklung weiter zu beobachten.

In Görlitz hätte ohne Stichwahl ein AfD-Kandidat gewonnen

Inzwischen, so Morlok, habe sich die Parteienlandschaft gründlich geändert. Die Grünen sind stärker geworden, die AfD kam neu dazu, vielerorts mischen unabhängige Gemeinschaften bei Kommunalwahlen mit. Wie eng die Parteien inzwischen auch in NRW beieinander liegen, habe die Europawahl gezeigt. Bei der Oberbürgermeisterwahl im Mai in Wiesbaden erreichten die drei Erstplatzierten jeweils zwischen 23 und 27 Prozent. Ohne Stichwahl wäre dort ein Kandidat ins Amt gekommen, den zwei Drittel der Wähler nicht wollten. Und im sächsischen Görlitz hätte sich jüngst ohne Stichwahl der AfD-Kandidat durchgesetzt. Immer wahrscheinlicher werde es, dass sich ohne Stichwahlen Politiker durchsetzen, die nur wenige Stimmen bekommen. Bürgermeister und Landräte sollten aber durch eine Mehrheit demokratisch legitimiert werden, sagen die Kläger.

Bei der vorigen Kommunalwahl kam es noch zu einer Stichwahl zwischen den Erstplatzierten, wenn zuvor keiner der Bewerber mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hatte. Um die Bürgermeister-Stichwahlen liefert sich die Landespolitik seit 25 Jahren ein Tauziehen. 1994 wurden sie von der SPD eingeführt, 2007 von CDU und FDP wieder abgeschafft. 2011 führte sie die rot-grüne Minderheitsregierung mit Hilfe der FDP wieder ein. Vor wenigen Wochen kassierte Schwarz-Gelb die Stichwahl erneut. Die Regierungsfraktionen weisen auf die oftmals geringe Wahlbeteiligung bei Stichwahlen und die hohen Kosten dieser zweiten Wahlgänge hin.

Streit um Zuschnitt der Wahlkreise

Hinter dem Streit steckt parteipolitisches Kalkül. Die SPD wirft der CDU vor, sie habe die Abschaffung der Stichwahl betrieben, um Wünsche, die aus der Partei heraus kommen, zu erfüllen. Umgekehrt rechnet sich die SPD bessere Chancen aus, wenn es wieder Stichwahlen geben sollte.

Die Klage vor dem Landesverfassungsgericht schließt einen weiteren Streitpunkt zwischen SPD und Union mit ein: Den um den Neuzuschnitt der Kommunalwahlkreise. Künftig soll beim Zuschnitt der Wahlkreise die Zahl der Wahlberechtigten zählen und nicht mehr die Einwohnerzahl. Wahlberechtigt sind Deutsche und EU-Bürger, zu den Einwohnern zählen – besonders in den Großstädten – auch viele Nicht-EU-Bürger. Die SPD befürchtet, dass Wahlkreise, die neu zugeschnitten werden, künftig „bürgerlicher“ sind, was ihre Chancen schmälern dürfte. Offiziell klingt die Begründung moralischer: Ratsvertreter müssten sich um alle Einwohner kümmern und nicht nur um die, die aus der EU stammen.

Beim Wahlrecht prüfen die Richter besonders streng

Eine Normenkontrollklage führt dazu, dass ein Gesetz auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wird. Die Frage in diesem Fall ist, ob die Landesverfassung eine Abschaffung der Stichwahl zulässt. Laut Martin Morlok prüfen die Verfassungsgerichte Wahlrechtsänderungen besonders streng, weil Parteien, die regieren, immer in der Versuchung seien, Wahlrechtsänderungen zum eigenen Vorteil herbeizuführen („Entscheidung in eigener Sache“). Das gelte auch für Entscheidungen zur Parteienfinanzierung und für die Bezüge von Politikern.