Düsseldorf. Neuer Lehrer-Leitfaden: Ab kommendem Schuljahr soll die umstrittene Methode „Schreiben nach Gehör“ nicht mehr in Reinform unterrichtet werden.
Zum kommenden Schuljahr gelten neue Grundlagen für den Rechtschreibunterricht an Grundschulen. Die umstrittene Methode „Lesen durch Schreiben“, soll ab dem Schuljahr 2019/20 nicht mehr in Reinform unterrichtet werden. Schüler müssen zudem nach der vierten Klasse einen bestimmten Rechtschreibwortschatz beherrschen. Mit einem neuen Leitfaden, der jetzt vom Schulministerium veröffentlicht wurde und online abrufbar ist, will die Landesregierung Lehrer bei der Vermittlung der Rechtschreibung unterstützen.
Regeln ab der ersten Klasse
„Ich erwarte, dass die Lehrer dies beachten“, hatte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) bei der Vorstellung der 70-seitigen Handreichung für den Deutschunterricht an Grundschulen gesagt. „Die Rechtschreibregeln müssen von Beginn an gelernt werden“, betonte sie. Dies gelte auch für die erste Klasse, schreibt Gebauer im Vorwort zu der Handreichung. Denn schon Schreibanfänger brauchten Hinweise auf normgerechte Schreibungen, „damit sie nicht denken, dass man schreibt, wie man spricht“, so die Ministerin. Dies lässt sich als klare Absage an die Methode „Lesen durch Schreiben“ verstehen. Zudem soll es künftig einen verbindlichen Grundwortschatz von 533 Wörtern geben, den jedes Kind am Ende der Grundschulzeit beherrschen muss.
„Ich mak Kasn“ (Ich mag Katzen) oder „Die kinda gen in den tso“ – Grundschüler, die diese Sätze zu Papier gebracht haben, lernten vermutlich zunächst nach der Reichen-Methode. Das auch als „Schreiben nach Gehör“ bekannt gewordene Verfahren ist seit seiner Einführung in den 1980er-Jahren umstritten. Die Methode schade vor allem schwächeren Schülern, denen Eltern wenig Hilfestellung bieten können, so die Kritiker. Sie sorge für schnelle Erfolgserlebnisse und fördere die Lust am Schreiben, meinen Befürworter.
Studie schreckte das Ministerium auf
Zum Lernen wird eine „Anlauttabelle“ benutzt, mit der sich die Kinder die Buchstaben selbst zusammensuchen. Die Schüler verfassen auf diese Weise selbstständig Texte. Die richtige Schreibweise tritt in den Hintergrund. Mit dem neuen Leitfaden für den Deutschunterricht an Grundschulen legt das Ministerium nun wieder deutlich mehr Gewicht auf die korrekte Schreibweise von Beginn an.
Aufgeschreckt wurde das Schulministerium durch die Ergebnisse der Studie „Bildungstrend 2016“ mit gut 3000 Grundschulkindern, die das Bonner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) für die Länder erstellt hatte. Die Wissenschaftler werteten fünf Diktate aus, die jeweils in einem Abstand von einem halben Jahr geschrieben wurden. Immer schnitten die „Fibelkinder“ besser ab. Schüler, die mit der Methode „Lesen durch Schreiben“ unterrichten wurden, machten am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler. Auch Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch war, profitierten von dem „Fibel-Ansatz“. Dabei werden zunächst einfache Wörter geübt und vom Lehrer unmittelbar korrigiert.
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Knapp ein Viertel der Grundschüler beherrscht Rechtschreibung nicht
Insgesamt ergab die IQB-Studie, dass knapp 24 Prozent der Kinder nicht in der Lage waren, grundlegende Rechtschreibregeln sicher anzuwenden. Im Bundesdurchschnitt waren es 22 Prozent. „Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends zeigten für NRW im Bereich Rechtschreibung einen deutlichen Handlungsbedarf“, so Schulministerin Yvonne Gebauer. Sie betonte indes auch, dass die Entwicklung einer sicheren Rechtschreibung am Ende der Grundschulzeit noch nicht abgeschlossen sei. Damit nimmt sie auch die weiterführenden Schulen in die Pflicht. Sie hatten in der Vergangenheit immer wieder darüber geklagt, Defizite aus der Grundschule ausbügeln zu müssen.
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Neu ist die Einführung eines verbindlichen Rechtschreibwortschatzes. Dieser setzt sich zusammen aus einem vorgegebenen Grundwortschatz von 533 Wörtern und einer individuellen Wortsammlung von 200 bis 300 Wörtern, wie sie sich aus der täglichen Arbeit in der Klasse ergeben. Im Grundwortschatz enthalten sind auch 111 häufig gebrauchte „Merkwörter“, die für Grundschulkinder nicht herzuleiten sind und gelernt werden müssen wie etwa „nämlich“, „eigentlich“, „meistens“ oder „nächste“.
Bildungsexperte: Kinder sollten früh Regeln üben
Die übliche Anlauttabelle wird in Gebauers Handreichung zwar nicht komplett aus dem Unterricht verdammt, doch ihr Einsatz soll stark beschränkt werden. Sie sei ein „Hilfsmittel, um sich schriftlich auszudrücken“, müsse im Unterricht aber durch eine „konsequente Schriftorientierung“ ergänzt werden, heißt es. Der Lernstand der Schüler soll kontinuierlich bereits ab Mitte der ersten Klasse durch Rechtschreibtests abgefragt werden.
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Zwar setzen nur sehr wenige Schulen derzeit allein auf die Reichen-Methode, dennoch begrüßen Verbände und Bildungsexperten eine stärke Konzentration auf die korrekte Schreibweise. „Für Kinder ist es besser, möglichst früh mit den Regeln der Rechtschreibung konfrontiert zu werden“, sagte Wolfgang Steinig, Professor für Sprachdidaktik an der Universität Siegen. Mehrere Langzeitstudien hätten gezeigt, dass sich die Fehlerzahlen seit den 70er-Jahren etwa verdoppelt hätten. Die Bildungsgewerkschaft GEW verweist indes auf ein Problem jenseits der Methodendebatte: Lehrermangel an Grundschulen. Mit ausreichend Personal seien auch bessere Lernergebnisse möglich.
>>>>Forscherinnen erstellten den Leitfaden
Die Handreichung und das zugehörige Material wurden von den Professorinnen Petra Hüttis-Graff (Uni Hamburg) und Ulrike Lüdtke (Uni Hannover) erstellt. Unterstützung erhielten sie dabei von Grundschullehrern, Sonderpädagogen und Fachleitungen der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung in NRW.