Essen. . Bildungsforscher beklagt schlechtere Rechtschreibungs-Leistungen. Doch das liege nicht nur an der umstrittenen Methode „Schreiben nach Hören“.

Mit ihrem Zweifel an der Lernmethode „Schreiben nach Hören“ hat die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine heftige Debatte ausgelöst. Bei der von Fachleuten auch „Lesen durch Schreiben“ genannten Methode sollen Kinder Schreiben und Lesen lernen, indem sie Wörter mit Hilfe einer Anlauttabelle so aufschreiben, wie sie sie hören. Die richtige Schreibweise steht zunächst nicht im Mittelpunkt. Christopher Onkelbach sprach mit Wolfgang Steinig, Professor für Sprachdidaktik an der Universität Siegen, ob sich die Methode bewährt hat.

Viele Eltern sind in Sorge, ob ihre Kinder nach der Einschulung Ende August mit der Methode Schreiben nach Hören eine korrekte Rechtschreibung erlernen – zu Recht?

Steinig: Ja, das Thema treibt die Eltern um. Sie selbst haben ja noch in der Schule gelernt, jedes Wort von Anfang an richtig zu schreiben. Und nun erklärt ihnen die Grundschullehrerin zum Schulbeginn, dass ihr Kind zunächst so schreiben darf, wie es die Wörter hört. Also anstatt Mutter zunächst muta. Die Eltern werden gebeten, diese fehlerhaften Schreibungen nicht zu korrigieren und darauf zu vertrauen, dass Kinder nach und nach zur richtigen Schreibung kommen, ganz ähnlich, wie Kleinkinder zunächst fehlerhaft sprechen, sich aber später immer mehr der Sprache der Erwachsenen annähern.

Ist die Rechtschreibung dadurch tatsächlich schlechter geworden?

Mehrere Langzeitstudien, auch unsere, haben gezeigt, dass sich die Fehlerzahlen seit den 70er-Jahren ungefähr verdoppelt haben. Die Methode, zunächst nach Gehör zu schreiben, ist sicherlich nicht der einzige Grund für den Anstieg der Fehler. So hat zum Beispiel die Rechtschreibreform die Menschen verunsichert. Hinzu kommt die Digitalisierung. Es wird heute vermutlich mehr geschrieben als jemals zuvor, doch da viele Programme Fehler einigermaßen zuverlässig korrigieren, meinen wohl viele, dass man sich selbst nicht mehr so sehr um die Rechtschreibung kümmern muss.

Gibt es noch weitere Gründe?

Die Zahl der Deutschstunden ist gesunken sowie die Übungszeiten für den Rechtschreibunterricht. In den Grundschul-Lehrplänen wurde zudem das Leistungsniveau abgesenkt. Die Anzahl der Wörter, die korrekt beherrscht werden müssen, der sogenannte Grundwortschatz, wurde stark verringert.

Was ist daran problematisch, zunächst nach Gehör zu schreiben?

Man kann nicht darauf vertrauen, dass alle Kinder über mehrere Fehlerstufen irgendwann zu einer sicheren Rechtschreibung kommen, denn das Schreiben lernt man nicht so wie das Sprechen. Die Kinder müssen verstehen, warum man Tanne mit zwei n, Tante aber nur mit einem n schreibt, obwohl das a in beiden Wörtern gleich klingt. Wenn Kinder am Ende der Grundschulzeit die Rechtschreibung immer noch schlecht beherrschen, ist der Zugang zum Gymnasium erschwert. Bildungsbewusste Eltern können ihren Kindern helfen, für viele Kinder aus unteren sozialen Milieus wird die Rechtschreibung aber zum Handicap, das ihnen den sozialen Aufstieg verbaut. Unsere Studie zeigte, dass Rechtschreibleistungen aus sozialen Gründen weiter auseinandergehen.

Betrifft das auch Kinder aus zugewanderten Familien?

Der Migrantenstatus ist weniger bedeutsam, es kommt vor allem auf die soziale Herkunft an. Kinder aus vietnamesischen Familien zum Beispiel schneiden meist besser ab als deutsche Kinder. Und Kinder aus einer türkischen Arztfamilie haben in der Regel keine Probleme.

Wie verbreitet ist die Methode?

Bundesweit unterrichten nur zwei bis drei Prozent aller Lehrkräfte streng nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ des schweizerischen Pädagogen Jürgen Reichen. Die weitaus meisten Lehrer orientieren sich an dem in ihrer Schule eingeführten Lehrwerk. Das zentrale Element der Reichen-Methode ist jedoch eine Anlauttabelle, mit der Kinder zu den Lauten von Wörtern passende Buchstaben finden sollen. Sie liegt heute fast jedem Lehrwerk bei. Das heißt, dass diese Methode grundsätzlich jeden Unterricht mehr oder weniger stark beeinflussen kann.

Ist die Kritik also übertrieben?

Es kommt sehr darauf an, was die Lehrerin daraus macht und wie lange sie damit arbeitet. In den ersten zwei bis drei Monaten kann es durchaus sinnvoll sein, den Zusammenhang von Buchstaben und Lauten mit Hilfe einer Anlauttabelle zu vermitteln. Doch wenn sie länger damit arbeitet, vielleicht noch in der zweiten Klasse, wird es problematisch. Denn dann kann es schwierig werden, Kinder zu motivieren, Wörter nun nach den Regeln zu schreiben, da sie es einfach zu lange gewöhnt waren, ohne besondere Anstrengung so zu schreiben, wie sie es für richtig hielten.

Was raten Sie Eltern und Lehrern?

Ich halte die Arbeit mit der Anlauttabelle für sehr problematisch, da es keinen eindeutigen Bezug zwischen Lauten und Buchstaben gibt. Für die Kinder ist es besser, möglichst früh mit den Regeln der Rechtschreibung konfrontiert zu werden. Sie können zwar nicht so rasch längere Texte schreiben, doch später fällt es ihnen leichter. Hinzu kommt: Kinder wollen wissen, was richtig und was falsch ist.