Düsseldorf. SPD und CDU hadern auch an Rhein und Ruhr mit dem Abschneiden ihrer Parteien bei der EU-Wahl. Bei der Union lindert aber Bremen den Schmerz.
Zwischen Hoffen und Bangen schwankten am Sonntagnachmittag CDU und SPD in Nordrhein-Westfalen. Am Abend machte sich große Enttäuschung breit. Die beiden wichtigsten Landesverbände ihrer Parteien werden erheblichen Einfluss darauf haben, wie ihre Parteien in den nächsten Tagen mit den Wahlergebnissen umgehen und welche Konsequenzen sie daraus ziehen. Beide sind mit ihren Resultaten in Europa äußerst unzufrieden.
Die ausgeprägt Groko-kritischen Sozialdemokraten in NRW dürften nach dem Desaster bei der Europawahl und der womöglich verlorenen Bürgerschaftswahl in Bremen den Druck auf die Parteispitze weiter erhöhen. Zur Vorgeschichte gehören ja noch die zweistelligen Verluste bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im vergangenen Jahr. Die Frage, ob das Bündnis mit der Union im Bund überhaupt noch eine Zukunft hat und ob personelle Veränderungen anstehen, treibt auch die Landespartei um. Hinter den Kulissen brodelt es.
NRW-SPD-Chef Hartmann fordert "Schulterschluss" der Parteispitze
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Um kurz nach 19 Uhr schickte SPD-Landesvorsitzender Sebastian Hartmann eine erste Analyse per Mail. "Platz Drei für die SPD - hinter den Grünen - bei einer bundesweiten Wahl verändert sich die politische Tektonik der Republik weiter", schrieb Hartmann. Die Ergebnisse müssten bei der SPD zu einer "tiefgreifenden Debatte" führen. Mitglieder und Wähler erwarteten nun vor allem Zusammenhalt und Orientierung.
Die Furcht vor Grabenkämpfen und einer Spaltung treibt auch den NRW-SPD-Chef um. Er fordert den "Schulterschluss des Spitzenpersonals der Partei". Zentrale Weichen müssten zukünftig grundsätzlich anders gestellt werden. Hartmann: "Die Parteiführung ist jetzt gefordert, den strategischen Kurs neu zu bestimmen. Das ist mehr als Tagesgeschäft, simples Regierungshandwerkszeug oder GroKo-Debatte."
Juso-Chefin in NRW: "Niederschnetterndes Ergebnis"
Noch viel deutlichere Worte fand Jessica Rosenthal, Vorsitzende der SPD-Parteijugend in NRW: „Das Ergebnis ist absolut niederschmetternd. Die SPD angelt sich von einem Tiefpunkt zum nächsten. Die Marginalisierung der SPD findet derzeit unmittelbar statt, wenn sie bei einer Wahl weit jenseits aller Erwartungen bleibt und nach dem gegenwärtigen Stand nur drittstärkste Kraft wird.“ Nun sei ein „radikaler politischer Kulturwechsel“ nötig.
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Bei ihrer ersten Wahl als Bundesvorsitzende der CDU landet Annegret Kramp-Karrenbauer in Europa unter 30 Prozent. Ein enttäuschendes Ergebnis, das durch das Resultat in Bremen allerdings deutlich abgemildert wird. „Das Ergebnis in Europa ist eine Hypothek, aber es liegt ja nicht allein an Annegret Kramp-Karrenbauer. Wir müssen in den kommenden Tagen klären, was wir beim nächsten Mal besser machen können und ob wir unsere Politik richtig erklären“, sagte NRW-CDU-Generalsekretär Josef Hovenjürgen dieser Zeitung. Die Union könne nicht zufrieden sein mit dem Resultat der Europawahl.
CDU ist unzufrieden mit dem Europa-Ergebnis
Positiv ist aus der Sicht von Hovenjürgen die hohe Wahlbeteiligung und „dass sich die Menschen für Europa interessieren“. Erfreulich sei auch, dass die AfD offenbar schlechter abgeschnitten hat als bei der Bundestagswahl. Stolz ist die NRW-CDU auf das Ergebnis ihrer Parteifreunde in Bremen. Vor rot-rot-grünen Experimenten dort warnt Hovenjürgen. Zu welch schlimmen Verhältnissen das gerade bei der inneren Sicherheit führen könne, sehe man in Berlin.
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Hendrik Wüst (CDU), NRW-Verkehrsminister und Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung in NRW, sagte: „Diese Zahlen für die CDU können nicht zufrieden stellen.“ Das Thema Klima sei prägend gewesen in diesem Wahlkampf. Die Volkspartei CDU dürfe den Grünen jetzt aber nicht hinterherlaufen. „Sie muss eine Antwort geben, die auch Arbeitsplätze, bezahlbare Energie und Mobilität berücksichtigt“, so Wüst.
Grüne feiern ein Fest
Die Grünen liegen bei der Europawahl vor der SPD, auch in NRW erreichen Sie offenbar Platz zwei vor den Sozialdemokraten. Für den Landesvorsitzenden Felix Banaszak aus Duisburg und die Co-Vorsitzende Mona Neubaur ist das „sensationell“. Am Abend war die Stimmung im Düsseldorfer „Café Europa“, wo die NRW-Grünen feierten, möglicherweise so euphorisch wie noch nie bei einer Wahlparty. Nach dem schwachen Abschneiden der Grünen bei der Landtagswahl in NRW 2017 feiert die Partei auch an Rhein und Ruhr eine Wiederauferstehung und das wohl beste Ergebnis aller Zeiten. Das Selbstbewusstsein der Grünen steigt, auch gegenüber den Sozialdemokraten, die bisher stets als „großer“ potenzieller Partner galten. „Wir sehen aber ohne Häme auf die Ergebnisse anderer Parteien“, sagte Banaszak dieser Redaktion. Europa, Deutschland und die Bundesländer erlebten gerade eine Verschiebung des traditionellen Parteiensystems.
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Die „grünen“ Themen Klimaschutz, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte hätten die Menschen besonders bewegt. „Hier sind wir viel klarer als andere Parteien, auch das erklärt unseren Erfolg“, meinte Banaszak. Der Protest am Hambacher Forst habe weit über NRW hinaus gewirkt. Die Grünen sendeten im Gegensatz zu vielen anderen Parteien eine „positive Veränderungsbotschaft“ nach Europa, so Banaszak. Und noch etwas habe die Europawahl nach Ansicht des grünen Landesvorsitzenden gezeigt: „Wir sehen, dass die Rechten nicht mehr automatisch stärker werden."
AfD durchaus zufrieden, FDP sieht Analysebedarf
Joachim Stamp, Vorsitzender der FDP NRW, sprach von einer „guten Nachricht, dass die Liberalen europaweit drittstärkste Kraft geworden sind und die große Koalition in Brüssel keine Mehrheit mehr hat.“ Das Ergebnis der FDP werde man nun in Ruhe analysieren.
Für Helmut Seifen, AfD-Landesvorsitzender, ist das EU-Wahlergebnis seiner Partei „sehr zufriedenstellend“. Es sei zu befürchten gewesen, dass die Diskussionen über das Ibiza-Video und die ÖVP in Österreich auch die AfD stärker beeinträchtigten. In dieser Situation seien die gut zehn Prozent bei der Europawahl in Ordnung.