Essen. . Eine Studie prognostiziert: In 40 Jahren wird es nur noch halb so viele Kirchenmitglieder geben. Ein Bereich aber stemmt sich gegen diesen Trend.
Der jüngst vorhergesagte Mitgliederschwund der beiden großen Kirchen in Deutschland wird auch im Ruhrgebiet dramatische Folgen haben. Nur noch etwa halb so viele Katholiken und Protestanten wie heute soll es demnach in 40 Jahren im Revier geben. Allein das Ruhrbistum rechnet bis 2060 mit einem Verlust von rund der Hälfte seiner derzeit noch rund 750.000 Mitglieder.
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Die Evangelische Kirche im Rheinland, zur der im Revier die Städte Essen, Duisburg, Mülheim, Oberhausen sowie der Kreis Wesel gehören, geht im bis zum Saarland reichenden Gesamtgebiet von einem Rückgang von derzeit rund 2,5 Millionen auf dann 1,39 Millionen Mitglieder aus. Auch im Erzbistum Paderborn (mit den Revierstädten Dortmund, Herne, Hagen Unna und Witten) wird die Zahl der Gläubigen von der derzeit rund 1,5 Millionen Gläubigen auf knapp über 800.000 sinken.
Sorgen um Finanzierbarkeit kirchlicher Aufgaben
Die neuen Prognosen rücken im Essener Ruhrbistum die Sorgen über die künftige Finanzierbarkeit kirchlicher Aufgaben stärker noch als bisher in den Mittelpunkt. In der Bistumsverwaltung müsse es jetzt darum gehen, Kräfte künftig noch mehr zu konzentrieren und Synergieeffekte zu heben, sagte Daniel Beckmann, Finanzchef des Essener Bistums und Mitinitiator der bundesweiten Forschungsstudie der Universität Freiburg.
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Diskussionen über eine Auflösung des erst 1958 aus Teilgebieten der Bistümer Köln, Paderborn und Münster heraus gegründeten Ruhrbistums hält Beckmann für abwegig. „Die Abschaffung einer Bistumsverwaltung wäre als Lösung für die anstehenden Probleme nicht geeignet “, sagte Beckmann der WAZ. Der Diözesan-Ökonom regte hingegen mehr Solidarität reicherer Bistümer sowie eine Neuausrichtung der Aufbauhilfe für ostdeutsche Bistümer an. Dieser von den westdeutschen Bistümer gezahlte Strukturbeitrag Ost müsse zu einem Modell umgewandelt werden, dass sich an Bedürftigkeit und nicht an der Himmelsrichtung orientiert.
Steuererträge verlieren Hälfte ihrer heutigen Kaufkraft.
Hinter den brisanten Zahlen stecken Detailergebnisse der in der vergangenen Woche vorgestellten „Zukunftsprognose“ des Forschungszentrums Generationenvertrag. Die Freiburger Wissenschaftler hatten im Auftrag der beiden großen Kirchen berechnet, wie sich Mitgliederzahlen und Kirchensteueraufkommen der 20 evangelischen Landeskirchen und 27 katholischen Bistümer entwickeln.
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Insgesamt rechnen die Forscher damit, dass die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland von knapp 45 Millionen auf unter 23 Millionen zurückgeht. Das stellt die Kirchen vor immense Finanzprobleme. Denn laut den Berechnungen steigen im selben Zeitraum die Kirchensteuereinnahmen zwar nominal leicht an, die Erträge verlieren aber laut der Studie die Hälfte ihrer heutigen Kaufkraft.
Die Hauptgründe für den Niedergang sehen die Forscher unter anderem in der demographischen Entwicklung. Entscheidend seien neben weniger Taufen aber auch die steigende Zahl von Kirchenaustritten. Daniel Beckmann schätzt den Effekt der Kirchenaustritt als besonders hoch ein. „Rein rechnerisch kehrt etwa jeder zweite Katholik im Laufe seines Lebens der Kirche den Rücken“, sagte Beckmann der WAZ. Besonders hoch sei die Austrittsbereitschaft bei Menschen zwischen 20 und 35 Jahren. Diese Altersgruppe sei wegen der zu erwartenden Kirchensteuerbeiträge für die Finanzierung kirchlicher Aufgaben besonders wichtig.
Stabile Mitgliederzahlen bei den Jugendverbänden
Stabile Mitgliederzahlen, aber eine Jugend die anders tickt: Die Jugendorganisationen „Bund der Deutschen Katholischen Jugend“ (BDKJ) und der „Christliche Verein Junger Menschen“ (CVJM) wurden noch nicht vom Trend des Mitgliederschwunds in der Kirche erreicht. Dass die Altersstruktur in ihren Vereinen älter wird und sie junge Menschen nicht mehr auf die Weise erreichen wie bisher, stellt jedoch auch sie vor Herausforderungen.
Die Zahl der Mitglieder und regelmäßigen Teilnehmer an kirchlichen Veranstaltungen für die Jugend seien stabil, sagen die beiden christlichen Jugendverbände. Beim BDKJ liegen sie bundesweit bei etwa 660.000, beim CVJM bei rund 330.000 – und das konstant seit mehreren Jahren. Doch die Organisationen merken auch, dass das Durchschnittsalter in ihren Vereine und Verbände vor Ort immer höher wird.
„Jugendliche sind heute eher projektorientiert“
Es sei heute schwieriger, junge Menschen anzusprechen, sagt Hansjörg Kopp, Generalsekretär des CVJM Deutschland. „Wir wissen, dass wir die Vereine anders begleiten müssen. Wir müssen proaktiv sein, Vereinsstrukturen ändern und mehr auf die Lebenswelt der jungen Menschen eingehen.“
Zur Lebenswelt junger Menschen gehört auch, dass viele nicht mehr dazu bereit sind, sich einer kirchlichen Jugendgruppe als festes Mitglied anzuschließen. So sagt Gregor Gierlich, Geschäftsführer des Landesjugendrings NRW: „Die Jugendlichen sind heute eher projektorientiert. Wir merken aber, dass die Zahlen der Teilnehmer für Angebote der Jugendverbände ansteigen.“ Jugendfreizeiten, Reisen oder Fortbildungen sind nach wie vor der Renner. Nahmen 2015 noch 252.611 junge Menschen an solchen Angeboten in NRW teil, waren es 2017 bereits 271.564.
„Junge Menschen sind politisch aktiv, auch bei uns“
In Kinder- und Jugendarbeit zu investieren, hat für den CVJM gleich zwei positive Effekte. „Es ist wichtig für die Zukunft unserer Vereine, aber zuerst für die individuelle Entwicklung der Kinder, damit sie ihre Potenziale entfalten und den christlichen Glauben kennenlernen können“, sagt Hansjörg Kopp.
Auch für BDKJ-Bundeschef Thomas Andonie steht die persönliche Entwicklung der Heranwachsenden im Zentrum: „Die jungen Menschen sind politisch aktiv und das sind sie auch bei uns. Sie setzen sich zum Beispiel für den Naturschutz ein, für Inklusion oder Arbeitnehmerrechte.“ Und er fügt hinzu: „Sie scheinen bei uns so etwas wie Heimat zu finden.“
Egal welche Konfession, Hauptsache Event
Was die einen finden, scheinen die anderen noch zu suchen. „Wie gelingt es uns heute, so über den christlichen Glauben zu reden, dass man uns versteht?“, ist für Hansjörg Kopp die entscheidende Frage. Eine Antwort sieht er in einer moderneren, jüngeren Sprache, in Musik, Inhalten für soziale Netzwerke, Gaming und Events. Denn: „Den jungen Menschen ist es egal, ob ein Gottesdienst evangelisch oder katholisch ist. Sie schauen: Wo sind viele? Wo wird etwas geboten?“ Der CVJM sei beispielsweise eine internationale und interkulturelle Bewegung. Gerade darin liege auch für die Kirchen ein enormes Potenzial, so Kopp weiter.
Was machen die Jugendverbände anders als die Institution Kirche? Für Thomas Andonie liegt das Problem im System. „Es muss jetzt strukturelle Veränderungen in den Kirchen geben. Die Jugendverbände könnten da eine Art Blaupause sein“, so der BDKJ-Vorsitzende. Denn sie hätten „ein neues Verständnis, wie Macht aufgeteilt wird“: Entscheidungsfindungen würden demokratisch getroffen, gemeinschaftliches Arbeiten stehe im Fokus, die Verbände seien Geschlechter-gerecht aufgebaut. „Bewegung ist da“, sagt Thomas Andonie. „Die Frage ist: Wird sie auch genutzt?“