Düsseldorf. Bei der Rekonstruktion der fatalen Verwechselung, die zum Tod eines unschuldig inhaftierten Syrers führte, gibt es plötzlich eine neue Theorie.
Im Fall des Todes eines unschuldig inhaftierten Syrers weist offenbar eine neue Spur in die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein. Das Landeskriminalamt (LKA) geht nach Informationen unserer Redaktion davon aus, dass eine Sachbearbeiterin der Behörde am 4. Juli 2018 einen Datensatz im landeseigenen polizeilichen Auskunftssystems „VIVA“ geändert und damit eine fatale Fehlerkette in Gang gesetzt hat. Dies soll eine aufwendige Protokoll-Auswertung ergeben haben, über die das LKA bei einem Treffen am 23. April die ermittelnde Staatsanwaltschaft Kleve informierte.
Der hellhäutige Syrer Amad A. war nach der Festnahme im Juli 2018 in Geldern am Niederrhein mit einem dunkelhäutigen Mann aus Mali verwechselt worden, den die Hamburger Polizei zur Fahndung ausgeschrieben hatte. Wochenlang saß der 26-Jährige Amad A. in der Justizvollzugsanstalt Kleve in Haft und kam im September bei einem Zellenbrand ums Leben.
Warum änderte eine Sachbearbeiterin die Alias-Personalien?
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Namensbestandteile und Aliaspersonalien gesuchter Personen sollen von der Sachbearbeiterin in Siegen-Wittgenstein so angeordnet worden sein, dass in der NRW-Auskunftsdatei „VIVA“ der am 6. Juli 2018 in Geldern aufgegriffene Syrer Amad A. mit dem per Haftbefehl gesuchten Afrikaner Amedy G. in einem gemeinsamen Datensatz gelandet sei. Wie die Mitarbeiterin auf die Idee gekommen sein soll, ausgerechnet diese beiden Personen zu koppeln, sollen Befragungen der Staatsanwaltschaft zeigen. Ob sie überhaupt zur Änderung der Fahndungsdatei befugt war, erscheint fraglich. Die Landratsbehörde Siegen-Wittgenstein war für die Kriminalakte von Amad A. zuständig, weil dieser nach der Einreise in NRW als erstes in der Flüchtlingsunterkunft Burbach gemeldet war.
Innenminister Reul hat Fehler der Polizei Kleve bereits eingeräumt
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Durch die Datensatzänderung sollen die Klever Polizisten bei nur flüchtiger Durchsicht verschiedener Fahndungsdateien auf den eigentlich abwegigen Gedanken verfallen sein, Amad A. sei der in Hamburg gesuchte Afrikaner. Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte bereits im Herbst 2018 eingeräumt, dass die Polizei Vorschriften zum weiteren Foto- und Identitätsabgleich grob missachtet habe. Das Landeskriminalamt Hamburg hatte dann am 9. Juli 2018, also drei Tage nach der Verhaftung von Amad A., selbst Aliaspersonalien in der Fahndnungsdatei INPOL verändert. Warum dies geschah und welche Rolle dabei die zuvor von der Polizei Kleve übermittelte Anforderung von Haftunterlagen spielte, ist noch Gegenstand der Ermittlungen.
Am 4. Juli 2018 morgens um 6.30 Uhr war der Datensatz aber übrigens noch nicht verändert. Da griff die Polizei in Krefeld Amad A. beim Schwarzfahren auf und fand bei „VIVA“ keinerlei Hinweis auf Amedy G. aus Hamburg.