Essen. . Zu viele Schüler, zu wenig Lehrer und Fachkräfte – Land und Kommunen haben die Entwicklung verschlafen, kritisiert der Gesamtschulverband NRW.
Angesichts des steigenden Zulaufs an die Gesamtschulen in NRW fordern Gewerkschaften und Verbände eine Gründungsinitiative der Landesregierung. „Wir raten dem Land und den Kommunen, den Willen vieler Eltern ernst zu nehmen und Gesamtschulen neu zu gründen oder bestehende auszubauen“, sagte GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. Die nordrhein-westfälische Schullandschaft brauche Initiativen, damit endlich überall Gesamtschulplätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen.
Unterstützung erhält die GEW von Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE): „Wenn der Bedarf es verlangt, muss vor Ort über Neugründungen oder die Eröffnung von Dependancen nachgedacht werden“, sagte Behlau der WAZ.
Nach Angaben des NRW-Schulministeriums standen im Schuljahr 2018/19 landesweit 48.976 Anmeldungen insgesamt 42.500 Plätzen gegenüber. „Damit bleibt die Gesamtschule auch weiterhin eine bei den Eltern stark nachgefragte Schulform“, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP).
Auch im aktuellen Schuljahr wurden in NRW erneut Tausende Kinder abgewiesen, die von ihren Eltern an einer Gesamtschule angemeldet wurden. Daraus könne indes nicht ein Bedarf an neuen Plätzen, Zügen oder gar Schulen abgeleitet werden, so das Ministerium. Denn dafür müsse das „gesamte schulische Angebot vor Ort“ berücksichtigt werden.
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Behrend Heeren, Chef des Verbands der Gesamtschulen NRW, weist diese Argumentation zurück. Zwar übertreffe nicht an jedem Standort die Nachfrage die Zahl der Plätze, doch sei der Mangel insgesamt gravierend. „Es gibt immer noch zu wenig Gesamtschulen in NRW“, sagte er der WAZ. Das Land müsse neue Schulen finanzieren und die Kommunen unterstützen. Es sei ein Skandal, so Heeren, dass die Gesamtschulen trotz der Herausforderungen durch die Inklusion die größten Klassenverbände hätten. Würde man die vom Land anvisierte Zielgröße von maximal 25 Kindern in inklusiven Klassen durchsetzen, müssten „Dutzende neue Gesamtschulen gebaut werden“, ist Heeren überzeugt.
1969 wurden die ersten Gesamtschulen im Rahmen eines Schulversuchs in NRW gegründet, drei davon im Ruhrgebiet. Die Gesamtschulen sollten dem damaligen „Bildungsnotstand“ entgegenwirken und die soziale Benachteiligung mildern. Im 50. Jahr des Bestehens dieser Schulform gibt es landesweit 340 Gesamtschulen. Die Schülerzahlen stiegen von Jahr zu Jahr an. Besuchten im Schuljahr 1998/99 noch 207.039 Schülerinnen und Schüler eine Gesamtschule, waren es 2018/19 mit 319.587 gut 112.000 mehr. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
Viele Schulträger hätten die Entwicklung falsch eingeschätzt und Maßnahmen verschlafen, kritisiert Heeren. VBE-Chef Behlau forderte die Kommunen auf, auch über eine städteübergreifende Schulentwicklung nachzudenken. „Ziel muss es sein, dass alle Kinder wohnortnah einen Schulplatz erhalten.“ Jede Ablehnung einer Anmeldung müssten Schulträger als Kritik verstehen.