Düsseldorf . Schwerer Verdacht: Der unschuldig inhaftierte und verstorbene Syrer Amad A. soll absichtlich mit einem gesuchten Malier verwechselt worden sein.

War der Feuertod des unschuldig inhaftierten Syrers Amad A. im September 2018 in der Justizvollzugsanstalt Kleve wirklich Folge einer tragischen Verwechselung? Oder brachte eine Datenmanipulation der Polizei den jungen Mann überhaupt erst hinter Gitter, wie das WDR-Magazin „Monitor“ am Donnerstag nahelegte?

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verwies zunächst auf die Staatsanwaltschaft Kleve, die den Tod des Syrers seit Monaten untersucht und auch gegen Polizeibeamte wegen mutmaßlicher Freiheitsberaubung im Amt ermittelt. „Das, was da in den Medien jetzt geäußert wird, ist für mich zunächst einmal ein Verdacht oder ein Hinweis, und da muss ich abwarten, was die Staatsanwaltschaft dazu sagt. Ich kenne die Unterlagen nicht“, sagte Reul.

Laut WDR könnte nachträglich eine Fahndungsdatenbank manipuliert worden sein, so dass eine Verwechslung des hellhäutigen Syrers vom Niederrhein mit einem in Hamburg gesuchten dunkelhäutigen Straftäter aus Mali überhaupt erst plausibel erscheint. Wochenlang saß Amad A. unschuldig hinter Gittern, bevor es am 17. September 2018 unter noch ungeklärten Umständen zu einem Zellenbrand kam. Am 29. September erlag der junge Mann im Bochumer Krankenhaus Bergmannsheil seinen schweren Verbrennungen. Der Landtag wird den Fall in einem Untersuchungsausschuss aufrollen.

Aliasname nachträglich ausgetauscht?

Der 26-jährige Amad A. war am Nachmittag des 6. Juli von Beamten der Polizeiwache Geldern an der Kiesgrube am Hartefelder Heideweg aufgegriffen worden, weil er vier junge Frauen, die sich dort sonnten, sexuell beleidigt haben soll. Da er polizeilich zuvor schon aufgefallen war - unter anderem durch Schwarzfahren -, konnte Amad A. auf der Kriminalwache leicht per „Fast-ID“ identifiziert werden.

NRW-Innenminister Herbert Reul gerät auch im Fall „Amad A.“ zunehmend unter Druck.
NRW-Innenminister Herbert Reul gerät auch im Fall „Amad A.“ zunehmend unter Druck. © Federico Gambarini

Was danach geschah, bleibt ein großes Rätsel. Bislang gingen Landesregierung und Staatsanwaltschaft Kleve davon aus, dass die Beamten der Kreispolizei Kleve noch am selben Abend bei einer routinemäßigen INPOL-Abfrage auf eine Fahndungsnotierung aus Hamburg stießen. Diese sollen sie versehentlich auf ihren „Klienten“ angewendet haben, weil der im Norden gesuchte dunkelhäutige Malier einen ähnlichen Aliasnamen („Amed Amed“) führte. Asylbewerber, die in der großen Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland kamen , werden häufig mit mehreren Namen in behördlichen Datenbanken geführt.

Innenminister Reul hatte bereits im Herbst schwere Fehler eingeräumt. Seine Beamten hätten Vorschriften zum Foto- und Identitätsabgleich missachtet, bevor sie sich einen Haftbefehl aus Hamburg faxen ließ und Amad A. kurzerhand ins Gefängnis steckten.

Opposition setzt Innenminister Reul unter Druck

Der WDR äußert nun Zweifel an dieser Version. Eines Schreibens des Landeskriminalamts Hamburg zufolge hätte es demnach am 6. Juli gar keinen Datenbank-Treffer geben dürfen, weil dem gesuchten Malier zu diesem Zeitpunkt die Aliaspersonalie „Amed Amed“ noch gar nicht zugeordnet gewesen sei. Auch INPOL-Abfrageprotokolle und eine Rekonstruktion des Bundeskriminalamtes widersprächen der bisherigen Darstellung aus NRW. Vielmehr sei ein bestehender Aliasname des Maliers in der Datenbank gelöscht und durch „Amed Amed“ ersetzt worden.

Die Opposition im Landtag reagierte entsetzt auf die angebliche Manipulation. „Wenn auch nur der Verdacht im Raum bliebe, dass in NRW Menschen rechtswidrig inhaftiert worden sein könnten und der zuständige Innenminister hier keine Transparenz herstellt, dann wäre dieser Minister nur noch schwer im Amt zu halten“, sagte SPD-Fraktionsvize Sven Wolf.

Frage nach dem Motiv bleibt unbeantwortet

Unklar blieb am Donnerstag, warum die Polizei Kleve überhaupt einen Festgenommenen ausgerechnet mit einem aus Hamburg herbeikonstruierten Haftbefehl hinter Gitter gebracht haben sollte. Und zur Frage, wer technisch eine Fahndungsdatenbank manipulieren kann, gab es widersprüchliche Angaben. „Wenn der Innenminister den Verdacht einer absichtlichen Verwechslung nicht sofort und belegbar ausräumen kann, steht der Vorwurf im Raum, dass Öffentlichkeit und Parlament bewusst getäuscht wurden“, mahnte Grünen-Rechtsexperte Stefan Engstfeld.

Innenminister Reul, für den sich immer neue Polizei-Baustellen auftun, orakelte: „Ich habe eine Vorstellung davon, was ich dann sage, wenn sich das bewahrheitet.“