Essen. . Eine Trauma-Therapeutin wirft Jugendämtern und Landesregierung im Fall Lügde Versagen vor. Der jahrelange Missbrauch hätte erkannt werden müssen.

Missbrauchsexperten machen den mit dem Fall Lügde befassten Jugendämtern sowie der Landesregierung schwere Vorwürfe. Längst hätte ein Team von Trauma-Experten einberufen werden müssen, das die betroffenen Kinder und Jugendlichen betreut und Hilfskonzepte erarbeitet. „Jetzt haben weiterhin die Jugendämter die Fallverantwortung, die zuvor den Hinweisen nicht nachgegangen sind“, kritisiert Ursula Enders, Leiterin der Fachberatungsstelle Zartbitter gegen sexuellen Missbrauch in Köln.

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„Die Mitarbeiterinnen sind massiv unter Druck. Dadurch besteht ein hohes Risiko weiterer fachlicher Fehler und folglich auch massiver Langzeitfolgen für die Kinder.“ Auch die Eltern benötigten Hilfe. „Sie sind sehr belastet, da sie sich Fantasien über den Missbrauch ihrer Kinder machen.“ Bisher habe sich die Politik vor allem mit der Strafverfolgung, der Polizei und den Pannen in den Jugendämtern befasst, „nicht aber mit den Menschen“.

Die Opferbeauftragte des Landes, Elisabeth Auchter-Mainz, wies die Vorwürfe zurück. Es sei nicht sinnvoll, jetzt ein Team von Kinderpsychologen zu entsenden, das nur kurzfristig vor Ort sei. Die Opfer benötigten dauerhafte Betreuung, sagte sie unserer Redaktion. Sie verwies darauf, alle Betroffenen angeschrieben zu haben und sie auf die Möglichkeit einer psychosozialen Prozessbegleitung hingewiesen zu haben. Einen „Vor-Ort-Termin“ habe es bisher aber nicht gegeben, räumte sie ein.

Bei einer so großen Zahl von betroffenen Kindern sei es höchst unwahrscheinlich, dass es keine offensichtlichen Hinweise auf den Missbrauch gegeben habe, sagt Enders. Kitas, Lehrer und Jugendamtsmitarbeiter hätten die Hinweise ernst nehmen müssen. In nicht wenigen Jugendämtern fehle es an qualifizierten Mitarbeitern und fundierten Hilfs-Konzepten. „Die Jugendamts-Mitarbeiter werden in der Ausbildung nicht auf solche Fälle vorbereitet. Und plötzlich müssen sie die Fallverantwortung tragen.“

20 Kinder ab sechs Jahren in Obhut genommen

Missbrauch in Lügde – Fallserie erschreckender Dimension

Es gebe zu wenig Fachberatungsstellen gegen sexuellen Missbrauch, beklagt Enders. Diese müssten besser gefördert werden, um Ratsuchenden niedrigschwellige Angebote machen zu können. Beratungs- und Therapieangebote müssten ausgebaut werden, meint auch Monika Bormann von der Beratungsstelle „Neue Wege“ in Bochum. Auch die psychotherapeutische Versorgung sei verbesserungswürdig, vor allem in ländlichen Gebieten.

Vom Kreis Lippe und dem Landkreis Hameln-Pyrmont wurden insgesamt 20 Kinder ab sechs Jahren in Obhut genommen und in Pflegestellen oder in speziellen Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht. Mit Familien und Jugendamt würden nun die weiteren Maßnahmen geplant, teilte der Landkreis auf Anfrage mit.

Kinderschutzbund fordert Fehleranalyse

Der Kinderschutzbund fordert eine grundlegende Fehleranalyse in den Jugendämtern. Hier seien offensichtlich Fehler gemacht worden, sagt Antje Möllmann vom Kinderschutzbund Niedersachsen – in Lügde waren auch niedersächsische Behörden involviert. Es gehe dabei nicht nur um die Versäumnisse einzelner Mitarbeiter, sondern um die Klärung systematischer Missstände.

Auf dem Campingplatz in Lügde sollen 34 Kinder jahrelang von drei Männern sexuell missbraucht worden sein. Zudem gibt es weitere 14 Verdachtsfälle. Unter den Opfern war auch das heute achtjährige Pflegekind des Hauptbeschuldigten. Das Jugendamt hatte ihn trotz mehrfacher Hinweise auf Pädophilie als Pflegevater eingesetzt.