Düsseldorf . Grausame Details im Campingplatz-Skandal: Polizei ermittelt gegen Alleinerziehenden als Komplizen. Jugendamt nimmt fünf weitere Kinder in Obhut.
Der Skandal um den jahrelangen Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde zieht immer weitere Kreise. Am Mittwoch wurden weitere grausame Details bekannt. So hat das Jugendamt Lippe fünf weitere Kinder in Obhut nehmen müssen. Drei von ihnen werden von der Polizei nach Informationen unserer Redaktion als Missbrauchsopfer geführt. Deren alleinerziehender Vater steht im Verdacht, seine Kinder den mutmaßlichen Tätern zum Missbrauch „zugeführt“ zu haben.
Der Mann gehört zu den sieben Beschuldigten, die NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vergangene Woche im Innenausschuss des Landtags genannt hatte. Ein viertes Kind des Alleinerziehenden, das ebenfalls in Obhut genommen wurde, soll dagegen unversehrt geblieben sein. Das Jugendamt brachte zudem vorsorglich das Kind einer alleinerziehenden Frau in Sicherheit, die auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde in desolaten Verhältnissen leben soll. Bislang gebe es jedoch keine Erkenntnisse, dass auch diese Mutter oder deren Kind in den Missbrauchsfall verwickelt sind.
Viele Hinweise auf Pädophilie blieben unbeachtet
In Lügde sollen mindestens 34 Kinder über Jahre in mindestens 1000 Fällen missbraucht worden sein. Zudem gibt es weitere 14 Verdachtsfälle. Als Hauptbeschuldigter gilt der 56-jährige Andreas V., ein arbeitsloser Dauercamper, der mit seiner heute achtjährigen Pflegetochter eine Parzelle bewohnte. Zusammen mit dem 33-jährigen Camper Mario S. soll V. die Kinder missbraucht und mit Hilfe eines 48-jährigen Auftraggebers im großen Stil kinderpornografische Aufnahmen produziert und verbreitet haben.
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Die 60-köpfige Ermittlungskommission beim Polizeipräsidium Bielefeld muss mehr als 3,2 Millionen Fotos und über 86.000 Videos sichten. Der Hauptverdächtige Andreas V. soll über seine Pflegetochter systematisch Kinder in seinen Wohnwagen gelockt haben. Der Landrat Tjark Bartels (SPD) aus dem niedersächsischen Hameln hatte einräumen müssen, dass das dortige Jugendamt trotz mehrfacher Hinweise auf Pädophilie den Hauptverdächtigen als Pflegevater für das kleine Mädchen eingesetzt hatte. Bereits 2016 hatten eine Jobcenter-Mitarbeiterin, ein anderer Vater sowie eine Kindergarten-Psychologin einen entsprechenden Verdacht geäußert. Diese Hinweise wurden in den Akten vermerkt, blieben aber folgenlos.
Ließ man Kreispolizei zu lange vor sich hin wursteln?
In NRW richten sich die Vorwürfe in erster Linie gegen die Kreispolizeibehörde Lippe, die zuerst in dem Fall ermittelte. Zunächst wurde eine Polizistin mit dem Fall betraut, die eine frühere Anzeige gegen den Hauptbeschuldigten nicht ernst genug genommen hatte. Danach leitete ein inzwischen suspendierter Kriminalkommissar die Ermittlungen, der an drei früheren Verfahren beteiligt war, in denen Beweismittel verschwanden.
Unter seiner Verantwortung kamen auch im Fall Lügde 155 CDs und DVDs abhanden. Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt wegen Diebstahls. Die Opposition im Landtag wirft Innenminister Reul vor, das Verfahren zu spät an die weitaus größere Behörde in Bielefeld delegiert zu haben. Allerdings soll auch die Staatsanwaltschaft Detmold noch Ende Januar davon ausgegangen sein, dass das Verfahren bei der Kreispolizei Lippe ordnungsgemäß bearbeitet werden könne.