Münster. Hunderte Hass-Zuschriften wegen den Gerichtsurteilen zu Sami A. OVG-Chefin beklagt „Verrohung“ und ermahnt die Politik, die Justiz zu achten.

Nie zuvor haben sich die Verwaltungsrichter in NRW so sehr mit Wut und Sorgen, aber auch mit Lob von Bürgern konfrontiert gesehen wie im vergangenen Jahr. Der Streit um die Abschiebung des Gefährders Sami A. nach Tunesien und der vorläufige Rodungsstopp im Hambacher Forst bescherten den Gerichten Hunderte Zuschriften, darunter viele hasserfüllte. „Selten hat eine Gerichts-Entscheidung so viel Widerspruch ausgelöst wie die zu Sami A. Und selten haben wir so viel Zustimmung erhalten wie nach dem Urteil zum Hambacher Forst“, sagte die Präsidentin der Oberverwaltungsgerichtes (OVG), Ricarda Brandts, am Donnerstag.


Allein im Fall des Tunesiers Sami A. gingen jeweils rund 400 Briefe und Mails an das OVG in Münster und an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. 15 Zuschriften an das OVG waren von der „übelsten Sorte“. In ihnen wurde Richtern mit Gewalt gedroht. Rüde ausländerfeindliche Bemerkungen und Befürchtungen von Bürgern, ihre Anliegen würden im Rechtsstaat zu kurz kommen, machten etwa die Hälfte der Zuschriften aus. Die Bestätigung der Rückholverpflichtung von Sami A. durch das OVG brachte dem Gericht aber auch „uneingeschränktes“ Lob von einigen Dutzend Briefeschreibern ein.


Der offene Ausländerhass in vielen Zuschriften erfüllt die OVG-Präsidentin mit Sorge. „Die Verrohung erreicht die Gerichte“, sagte sie. Solche Stimmungen dürften nicht der Maßstab für Gerichtsentscheidungen sein. Richter entschieden nach Recht und Gesetz und nicht politisch motiviert, stellte Brandts klar. Selbst hochrangige Politiker hätten Unverständnis über die Rechtsprechung zu Sami A. geäußert. Die Richter in Münster mahnten daher auch diese Entscheidungsträger, ihrer „Vorbildfunktion im Umgang mit der Justiz gerecht zu werden“ und die Akzeptanz der 3. Gewalt nicht zu schwächen.

Zehntausende Asylverfahren in der Warteschleife

Die Zahl der Asylverfahren bei den sieben NRW-Verwaltungsgerichten ist zwar rückläufig, „wir können aber keine Entwarnung geben“, mahnte OVG-Chefin Ricarda Brandts. Trotz Personalverstärkung in den Gerichten warteten Ende 2018 noch rund 44.300 Asylverfahren auf Bearbeitung. Die Abarbeitung allein dieser Fälle dürfte etwa vier Jahre dauern, hieß es. Die Verfahrensdauer stieg von 2017 auf 2018 von acht Monaten auf durchschnittlich ein Jahr. Bei den Verwaltungsgerichten hatten 28 Prozent der Asylbewerber mindestens teilweise Erfolg mit ihren Klagen. Vor dem OVG, wo sich zuletzt die Asylverfahren auf 1800 verdoppelten, lag die Erfolgsquote der Kläger aber nur bei zwei Prozent. Ein Verwaltungsrichter habe jährlich etwa 180 Verfahren zu bearbeiten, die Justiz arbeite am Limit. Wegen des hohen Arbeitsdrucks wird beim OVG in Münster in diesem Jahr ein zusätzlicher Senat eingerichtet.

Bald Entscheidung zu Diesel-Fahrverboten

Ende Juli/Anfang August dürften die Bürger in Bonn und Aachen erfahren, ob in ihrer Stadt streckenweise Diesel-Fahrverbote gelten müssen. Für Köln fällt diese Entscheidung beim OVG voraussichtlich in der zweiten Septemberhälfte. Die Landesregierung ging bisher davon aus, dass über die drohenden Fahrverbote im Ruhrgebiet (Essen, Gelsenkirchen, Bochum Dortmund) erst im kommenden Jahr verhandelt wird. Das muss aber nicht zutreffen. „Wir wollen noch weitere Verfahren in diesem Jahr entscheiden“, erklärte das OVG. Fest steht, dass sich in Münster Experten am 9. und 10. Mai zum Diesel-Streit äußern sollen. Die Sachverständigen werden bei dem „Beweis- und Erörterungstermin“ ihre Erkenntnisse zu Grenzwerten, zu Standorten von Mess-Stellen und zu Gesundheitsgefahren durch Stickoxide vortragen.

Gericht mahnt Schulen zur Fairness bei der Schüler-Aufnahme

Eine zunehmende „Neigung“ vieler Schulleitungen, Kinder aus der eigenen Stadt bei der Schul-Anmeldung zu bevorzugen, kritisiert das OVG scharf. Kinder und Eltern müssten darauf vertrauen können, dass die Schulen nach Recht und Gesetz vorgingen, sagte OVG-Präsidentin Brandts. Im vergangenen Jahr hatte das OVG einer Mutter aus Essen Recht gegeben, die gegen die Ablehnung ihres Kindes an einer Gesamtschule in Heiligenhaus geklagt hatte. Zwar könne eine Schule den Schulweg als Kriterium für die Anmeldung wählen. Das bedeute aber nicht, dass Schulen Kinder aus einer anderen Gemeinde abweisen dürften, erklärte Richter Bernd Kampmann. Schulen müssten rechtlich sauber mit den Aufnahmeverfahren umgehen. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass hinter verschlossenen Türen andere Maßstäbe angelegt werden“, warnte Ricarda Brandts.