Düsseldorf. . Türkisch, Polnisch oder Russisch statt Englisch an NRW-Grundschulen: Der Landesintegrationsrat muss für den Vorschlag viel Kritik einstecken.

Der Aktenordner, den Tayfun Keltek mitgebracht hat, umfasst mittlerweile über hundert Seiten. Fein säuberlich hat der Vorsitzende des Landesintegrationsrats NRW darin die Reaktionen auf seinen Vorschlag von vor einer Woche abgeheftet. Die Forderung, auf einen Englischunterricht an den Grundschulen zu verzichten und dafür lieber die Muttersprachen von Schülern mit Migrationshintergrund zu unterrichten, hat Keltek eine Flut an E-Mails und Kommentaren beschert. Diese reichen von „Schwachsinn“ bis „lächerlich“. Manche hetzen, Keltek solle „zurück in die Türkei gehen“. Ein Absender fragt Keltek in Anlehnung an einen umstrittenen Koranvers gar: „Haben Sie jemals Ihre Frau geschlagen?“

„Was in den sozialen Medien passiert, ist ungeheuerlich“, sagt der 71-jährige Keltek. „Es hat mich persönlich betroffen gemacht. Aber sich zurückzuziehen, das ist nicht meine Art.“ Es sei eine Unverschämtheit, seine Loyalität zu Deutschland in Frage zu stellen. „Selbstverständlich muss jeder, der in Deutschland lebt, die Landessprache beherrschen. Das steht nicht zur Debatte.“ Immer wieder müsse er betonen, dass er zum Grundgesetz stehe. „Ich liebe Deutschland, aber ich liebe auch mein Herkunftsland.“

Keltek: „Englisch ist Weltsprache.“

Der Vorsitzende stellt klar: „Englisch ist die Weltsprache, ich unterstützte den Englischunterricht ab der Sekundarstufe 1, also ab der 5. Klasse.“ Der Englischunterricht in der Grundschule sei jedoch nicht effektiv, findet er. „Schülerinnen und Schüler lernen in der fünften Klasse in drei Wochen so viel Englisch, wie die Kinder in vier Jahren Grundschule.“ Durch das gemeinsame Lernen der Muttersprachen würden Sprachkompetenzen aufgebaut, die im späteren Englischunterricht helfen.

Fakt ist, dass der Integrationsrat mit seiner Forderung einen Nerv getroffen hat. Franz Legewie, lange Schulleiter an einer Grundschule in Köln-Buchheim, verteidigt den Vorschlag: „Die große Frage ist, wie wir der Herausforderung der mehrsprachigen Gesellschaft begegnen. Die Regelschule des 21. Jahrhunderts ist völlig heterogen.“ In 18 Kölner Grundschulen gebe es bereits zweisprachigen Unterricht, sagt Legewie. „Ein kleines Kind ist nicht damit überfordert, zwei Sprachen zu lernen.“

Thomas Jaitner, Bildungsreferent des Landesintegrationsrates, sieht im gemischtsprachlichen Unterricht auch Vorteile für deutsche Kinder: „Man lernt sehr viel über die deutsche Sprache, wenn man sie mit anderen vergleicht.“ Jaitner verweist auf die bilingualen Staatlichen Europaschulen Berlin. In der Hauptstadt wird an 17 Grundschulen und 13 weiterführenden Schulen in insgesamt neun Sprachkombinationen unterrichtet.

Konzentration auf Ballungsgebiete

Dass es bald NRW-weit an jeder Grundschule Türkisch- oder Polnischunterricht gibt, hält auch Keltek für unwahrscheinlich: „Es flächendeckend anzubieten, ist nicht möglich.“ Eine Konzentration auf Ballungsgebiete mit erhöhtem Migrantenanteil wäre der erste Schritt. Der Integrationsrat fordert ein Umdenken in der Politik und mehr Investitionen in die Ausbildung von Lehrern. So gibt es bereits an der Uni Duisburg-Essen den Studiengang Türkisch auf Lehramt.

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte sich in der vergangenen Woche bereits geäußert: „Englisch ist und bleibt die zentrale Fremdsprache, die eine weltweite Kommunikation ermöglicht. Daher bleibt es dabei, dass an Grundschulen und allen weiterführenden Schulen verpflichtend Englisch unterrichtet wird.“