Essen/Düsseldorf. . Eine neue Hochschule im nördlichen Ruhrgebiet würde der Region einen Entwicklungsschub verleihen. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
34.000 Studierende, 300 Professoren, 6000 Beschäftigte, 80 Studiengänge – nimmt man sich die TU Dortmund zum Vorbild, wird die Größenordnung einer neuen Universität im nördlichen Ruhrgebiet in etwa deutlich. Zahlreiche Institute und Ausgründungen sowie ein Technologiepark mit 300 High-Tech-Unternehmen mit rund 10.000 Beschäftigten umkränzen die TU.
Das dürfte Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) im Sinn gehabt haben, als er eine „Emscher-Universität“ für das nördliche Ruhrgebiet forderte. Es wäre ein ungeheurer Entwicklungsschub, den das nördliche Ruhrgebiet nach dem Abschied vom Bergbau dringend benötige, sagte er. „Das nördliche Revier ist ein Labor für den Strukturwandel, für die Chancen der Digitalisierung. Über solche Forschungs-Schwerpunkte könnten wir reden.“
Eine neue Universität im Ruhrgebiet – ist das realistisch? „Nein“, sagt Wolfgang Rohe, Geschäftsführer der Stiftung Mercator und Leiter des Ressorts Wissenschaft. „Die Gründung einer neuen Universität halte ich für unklug.“ Es dauere Jahrzehnte, bis sie sich etabliert habe, zudem seien enorme Investitionen nötig – „unter einer Milliarde Euro muss man gar nicht anfangen“, sagte der Hochschulexperte. Darunter würden bestehende Hochschulen leiden. Er verweist auf die Kosten der geplanten Technischen Universität in Nürnberg, die Bayern im 2025 eröffnen will und mindestens 1,2 Milliarden Euro verschlingen werde.
Die dichteste Hochschullandschaft Deutschlands
Die Ruhr-Uni Bochum war die erste Universitätsneugründung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – das war 1962. Im folgenden Jahrzehnt entstanden auch in Dortmund, Essen und Duisburg neue Unis. Anschließend noch ein Reigen weiterer Fachhochschulen. So wuchs bis heute die oft beschworene dichteste Hochschullandschaft Deutschlands.
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Die Unis Bochum, Dortmund und Duisburg/Essen – verbunden in der Universitätsallianz Ruhr (UA-Ruhr) – decken bereits ein breites Spektrum ab, so Rohe. Die Ruhr-Uni Bochum habe im Exzellenz-Wettbewerb sogar die Chance auf den Rang einer Spitzenuni. Diese Strukturen gelte es zu stärken, dann könne sich die UA-Ruhr ausdehnen und auch Einrichtungen im nördlichen Revier ansiedeln. „Wir stehen jetzt in der Startposition für die Wissenschaftsregion Ruhr. Eine neue Universität würde das torpedieren“, erteilt Rohe der Idee eine klare Absage.
Impulse für Arbeitsplätze und Existenzgründungen
„Ich glaube nicht, dass es sich um eine neue Universität handeln muss“, sagt auch Frank Ziegele, Chef des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). „Für das Vorankommen einer Region kann eine Fachhochschule genauso wichtig sein. Die Stärkung der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen als Fachhochschule wäre womöglich genauso zielführend wie die Gründung einer neuen Universität.“
Aufgeschlossen steht Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschulen, dem Vorstoß gegenüber. Eine neue Uni bringe Impulse für Arbeitsplätze, Existenzgründungen und Wirtschaft. Prinzipiell sei Baranowskis Forderung richtig, Wissenschaft im nördlichen Revier anzusiedeln. Kriegesmann denkt dabei auch an Fraunhofer-Institute oder weitere Fachhochschul-Standorte. „Ich verstehe die Forderung des OB zutiefst. Man muss nur sehen, wie man sinnvolle Akzente für die Region setzt. Wir sind dabei gerne ein hilfreicher Partner.“
Landesregierung hält sich zurück
Das zuständige NRW-Wissenschaftsministerium äußert sich zurückhaltend und verweist auf das bereits „dichte und vielfältige Netz von Hochschulen“ in NRW. Eine Entscheidung über eine Neugründung stehe nicht an, da die Hochschulen im Ruhrgebiet „keinesfalls stärker ausgelastet sind“, als andernorts in NRW, teilte Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) mit. Eine Entscheidung über eine neue Hochschule falle nicht allein aus strukturpolitischen Gründen, so die Ministerin, sondern sei „in erster Linie unter bildungspolitischer Perspektive zu treffen.“ Damit geht sie offensichtlich auf Distanz zu Baranowskis Vorschlag.
Der lässt indes nicht locker. Im Moment würden in Berlin viele Milliarden Euro verteilt, sagte er. „NRW fordert mindestens zehn Milliarden Euro für den Braunkohle-Ausstieg. Wenn es eine Chance für das nördliche Revier gibt, Fördermittel zu bekommen, dann jetzt.“
>>>> Gelsenkirchen hat seit 1992 eine Fachhochschule
In Gelsenkirchen wurde bereits 1992 eine Fachhochschule gegründet. Die Westfälische Hochschule hat Standorte in Bocholt, Recklinghausen und Ahaus. Ihre Schwerpunkte sind Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik und Wirtschaft. Aktuell sind 9100 Studierende eingeschrieben, sie beschäftigt 680 Mitarbeiter.