Düsseldorf. . „Haben Sie heute schon ins Lenkrad gebissen?“ Mit Sätzen wie diesem von Carsten Löcker (SPD) streitet der Landtag über die vielen Staus im Land.

Ist es, seit Schwarz-Gelb in NRW regiert, besser geworden auf den Autobahnen? Wer täglich mit dem Auto zur Arbeit pendelt, dürfte das nicht so empfinden. SPD und Grüne warfen Union und FDP gestern sogar „Wahlbetrug“ vor. Mit der ADAC-Stau-Statistik hatten CDU und Liberale 2017 munter Wahlkampf gemacht und von Staulängen gesprochen, die „bis zum Mond“ reichten.

„Politische Taschenspielertricks“

nzwischen ist die ADAC-Messung im Verkehrsministerium nicht mehr so beliebt, weist sie doch für 2018 ein Staulängen-Plus von 6,4 Prozent aus. Die Berechnungen des Landesbetriebs Straßen.NRW lesen sich aus Sicht der Regierung viel freundlicher: Die Staus sollen um 4,5 Prozent zurück gegangen sein. Die beiden Statistiken fußen allerdings auf völlig unterschiedlichen Mess-Methoden. (siehe Info).

SPD und AfD hatten den Streit über den Stau mit ihren Anträgen zu einer „Aktuellen Stunde“ im Landtag entfacht. Die SPD schimpfte über „verkehrspolitische Taschenspielertricks“. 4,5 Prozent weniger Stau habe auf der Straße niemand bemerkt, ließ Carsten Löcker süffisant einfließen.

Gummihuhn für den Minister

Er zog sogar ein gelbes Gummihuhn aus einer Plastiktüte und richtete das Wort an Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU): „Ich habe ihnen heute das tote Huhn mitgebracht, das sie uns so gerne über den Zaun schmeißen.“ Soll heißen: Die Staus seien ein Problem der heutigen Regierung und nicht das der alten. Arndt Klocke, Grünen-Fraktionschef, gab sich weniger theatralisch, sprach aber von „klarem Wahlbetrug“.

NRW-Verkehrsminister  Hendrik Wüst (CDU) zeigte eine Grafik zu den Investitionen in Bundesfernstraßen: „Wenn die Schwarzen regieren, geht es hoch, wenn die Roten regieren runter“, sagte der Minister und wehrte sich gegen Vorwürfe von SPD und Grünen, zu wenig gegen die Staus zu unternehmen.
NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) zeigte eine Grafik zu den Investitionen in Bundesfernstraßen: „Wenn die Schwarzen regieren, geht es hoch, wenn die Roten regieren runter“, sagte der Minister und wehrte sich gegen Vorwürfe von SPD und Grünen, zu wenig gegen die Staus zu unternehmen. © Henning Kaiser/dpa

Das wollte der Verkehrsminister nicht auf sich sitzen lassen. Seit 2003 messe das Landesamt die Staus in NRW nach der gleichen Methodik, sagte er. Wenn also nun ein Minus von 4,5 Prozent herauskommt, dann sei das eine seriöse, mit allen Vorjahren vergleichbare Rechnung. „Sie haben mit gezinkten Karten gespielt in ihrer Regierungszeit“, rief Wüst in Richtung SPD und Grüne. „Sie wollen von ihrer Verantwortung für die Staus von heute ablenken.“

„Im Stau mit Rau“

Die Regierung sagt, sie unternehme viel, um die Staus zu verkürzen: Planer und Ingenieure wurden eingestellt, Geld des Bundes für den Straßenbau lückenlos abgerufen, Baustellen besser organisiert. „Die Lage auf den Straßen ist nicht zufriedenstellend“, gab Wüst zu. „Die Pendler sind ungeduldig, und ich bin es auch. Jeder Stau ist einer zu viel.“

Wer hat Schuld am Stau? Diese Frage beschäftigt den NRW-Landtag nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahrzehnten. Diese Debatten sind immer hitzig, die Sprüche derb, die Problemlösung nie wirklich in Sicht. Beliebt war immer schon der Reim zum Stau: Norbert Blüm (CDU) nutzte das Thema im Landtags-Wahlkampf 1990 zur Attacke auf den Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) mit der Botschaft „Nicht länger im Stau mit Rau“. Die Union versprach damals – wie in allen folgenden Wahlkämpfen – bessere Verkehrsinvestitionen in NRW.

Mehr Stau statt weniger

„Gegen Stau hilft Bau“ war am Donnerstag im Parlament ein immer wieder bemühter Reim. Arndt Klocke (Grüne) machte daraus ein „Gegen Stau hilft schlau“ und holte gleich noch die Vor-Vorgängerregierung mit ins Boot: In der Zeit des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers seien in der Straßenverwaltung zahlreiche Stellen gestrichen worden.

Doch so witzig und treffend die Sprüche auch sein mögen und so tief der Griff in die politische Mottenkiste auch ausfällt, das Ende der Staus ist in NRW nicht in Sicht. „Wir werden kräftig bauen, und das erhöht das Staurisiko“, sagte Minister Wüst.

>>> Verschiedene Mess-Methoden

Der ADAC gibt für das Jahr 2018 in NRW eine Staulänge von 486.000 Kilometern an. Straßen.NRW spricht von 103.000 Kilometern. Der Riesenunterschied zeigt: Hier wird völlig unterschiedlich gezählt. Das Land erfasst Daten von 2500 Mess-Schleifen in den Autobahnen. Ein Stau beginnt bei einer gemessenen mittleren Geschwindigkeit von 35 km/h ab 1000 Meter Staulänge. Der ADAC erfasst zusätzlich mobile Daten von Navis, Lkw und Stau-Apps. Ab Tempo 40 registriert der Club einen Stau.