Düsseldorf. . Der Ministerpräsident hatte Fahrverbote als rechtswidrig abgetan und wird jetzt von Gerichten belehrt. Auch im Ruhrgebiet drohen Einfahrsperren.
Die erste Reaktion von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) war ein Dokument der Hilflosigkeit. In Köln und Bonn sollen auf Anweisung des Verwaltungsgerichts ab dem kommenden Jahr mehr als 85.000 Diesel-Autos ausgesperrt werden, darunter Tausende Handwerker-Fahrzeuge. Heinen-Esser kritisierte umgehend einen „massiven Eingriff“ und monierte: „Das Gericht hat die Frage der Verhältnismäßigkeit einer derart weitreichenden Entscheidung nicht dargelegt.“
Landesregierung setzt auf Berufungsverfahren
Gut zwei Stunden später ließ die Staatskanzlei ein leicht geändertes Zitat der Ministerin verbreiten: „Die Verhältnismäßigkeit einer derart weitreichenden Entscheidung wurde nicht ausreichend dargelegt.“ In Krisensitzungen war man offenbar überein gekommen, dass Gerichtsschelte alles nur noch schlimmer macht. Zumal das Verhältnis der Landesregierung zur Gewaltenteilung seit den Verwerfungen um den Abschiebefall Sami A. ohnehin unter verschärfter Beobachtung steht.
Noch hofft die Landesregierung, die Fahrverbote in einem Berufungsverfahren abwenden zu können. Mindestens will das Land die Fahrverbotszone deutlich verkleinert sehen und darauf abstellen, dass die 2020 erwartete Teilfertigstellung der A3-Autobahnbrücke den Kölner Innenstadt-Ausweichverkehr entlasten werde.
Klageverfahren in 29 Städten
Doch die Eindeutigkeit, mit der die erste Instanz den bisherigen Umgang der Politik mit den EU-Grenzwerten für Stickstoffdioxid auseinandergenommen hat, lässt an einer juristischen Kehrtwende zweifeln. Der Kölner Verwaltungsrichter Michael Huschens stellte klar, dass man nach neunjähriger Grenzwert-Überschreitung nicht mehr auf sanfte Luftreinhalte-Pläne „im Futur“ warten könne.
Vor allem an Rhein und Ruhr wird es für die Diesel-Fahrer eng. Die Deutsche Umwelthilfe führt aktuell Klageverfahren für „saubere Luft“ in 29 Städten, davon allein zehn in NRW. Noch in diesem Monat sollen Klagen in Bielefeld, Hagen, Freiburg, Oberhausen und Wuppertal eingereicht werden. Bereits kommenden Donnerstag entscheidet das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen über Fahrverbote in Essen und Gelsenkirchen.
Landesregierung blockte lange ab
Die Opposition im Landtag wirft Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor, das Problem zu lange auf die leichte Schulter genommen zu haben. „Der Ministerpräsident hat angekündigt, mit ihm werde es keine Fahrverbote in NRW geben. Das stimmt nicht. Die Gerichte zwingen ihn dazu“, kritisierte SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty. Laschet hatte im März erklärt, er halte Diesel-Fahrverbote für „rechtswidrig“, weil sie nicht verhältnismäßig seien. Er werde dies auch die für Luftreinhaltepläne zuständigen Bezirksregierung wissen lassen.
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Zugleich schoss sich die CDU-Landtagsfraktion auf die Umwelthilfe ein, die ein „Abmahnverein“ sei, von ausländischen Autokonzernen Spenden erhalte und bloß den deutschen Diesel in Misskredit bringen wolle. Auch wurden die Stickstoffdioxid-Messungen in Zweifel gezogen. Nun muss die Umweltministerin einräumen: „Sowohl an den Grenzwerten als auch an unseren Messmethoden gibt es nichts zu rütteln.“
Grüne erhöhen den Druck
Die Grünen wollen Laschet kommende Woche mit einer Aktuellen Stunde im Landtag unter Druck setzen. Er habe „hemdsärmelig“ Fahrverbote vom Tisch gewischt und deutlich gemacht, „dass ihm sowohl höchstrichterliche Urteile als auch der Gesundheitsschutz der Menschen herzlich egal sind“, sagte Fraktionschef Arndt Klocke. Laschet habe nicht nur alle Diesel-Fahrer „in falscher Sicherheit gewogen“, sondern auch Druck von den Autobauern genommen.
Der schwarz-gelben Landesregierung wird vorgehalten, ihr politisches Gewicht nicht stärker in die Waagschale geworfen zu haben, um die Auto-Konzerne zu flächendeckenden Hardware-Nachrüstungen zu verpflichten. Dies hätte zumindest den Besitzern neuerer Euro 5-Diesel eine – wenn auch vage – Perspektive verschafft. Für regulär zugelassene ältere Euro- 4-Fahrzeuge, von denen allein in Köln 30.000 und im Kern-Ruhrgebiet fast 90.000 gemeldet sind, wäre damit freilich nichts gewonnen.
>>> Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entscheidet am Donnerstag
Am Donnerstag, 15. November, entscheidet das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen über die in Essen und Gelsenkirchen geltenden Luftreinhaltepläne.
Die Deutsche Umwelthilfe will erreichen, dass der seit Jahren vorgeschriebene EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft eingehalten wird. Das Gericht in Gelsenkirchen muss entscheiden, ob und in welcher Form Fahrverbote in den Ruhrgebietsstädten in Betracht kommen.