Mülheim. . Die Spesenaffäre des Oberbürgermeister verursachte einen hohen immateriellen Schaden. Es gibt am Ende nur Verlierer. Eine Analyse.

Am Ende stundenlanger Diskussionen und nach einem drei Monate anhaltenden Streit über Spesenabrechnungen und die Dienstauffassung des Oberbürgermeisters musste Ulrich Scholten sich vom Rat rügen lassen. War’s das? Wirtschaftlich ging es in dem Streit, den viele in Politik und Verwaltung als extrem belastend empfunden haben, um fragwürdige Ausgaben in Höhe von 3500 Euro. Viele sagen: Es reicht nun. Letztlich ist jedoch ein Schaden entstanden, der mit Geld nicht zu bemessen ist. Die Affäre hinterlässt viele Verlierer. Einen Gewinner der Schlacht gibt es nicht.

Ein Verlierer ist der Oberbürgermeister allemal. Trotz seiner Entschuldigungen, trotz seines Eingeständnisses, unsensibel gehandelt und Fehler gemacht zu haben, geht er beschädigt aus dem Streit hervor. Hätte er bereits im Mai, als die Vorwürfe öffentlich wurden, schnell und ehrlich aufgeklärt, das Drama hätte einen anderen Verlauf genommen.

Er ist nicht nur das Opfer von vier SPD-Spitzenvertretern, die ihn in einer menschlich schwierigen Situation zum Rücktritt bewegen wollten. Er hat in der Bürgerschaft durch sein Amtsverständnis bei vielen große Zweifel geweckt, ob er dem Amt, in das er gewählt wurde, gerecht wird. Er hat die Würde des Amtes beschädigt. Er muss jetzt das nötige Vertrauen wieder aufbauen – innerhalb des Rates, innerhalb der Stadt, innerhalb seiner Partei. Doch gerade das muss er leisten – zügig, um die Stadt in ihrer extrem schwierigen Finanzlage zu führen.

Der größte Verlierer ist die SPD

Der vielleicht größte Verlierer ist die SPD, der Scholten angehört und die ihn zu Fall bringen wollte. Die beiden Dezernenten mit SPD-Parteibuch, der Fraktionschef und der Fraktionsgeschäftsführer haben mit der Rücktrittsforderung einen Konflikt losgetreten, den sie nicht mehr in den Griff bekommen haben. Zu recht haben sie sich über das Amtsgebaren ihres Chefs empört, die Forderung nach mehr Profil im Amt mag berechtigt gewesen sein.

Doch der Zeitpunkt kurz nach dem Tod von Scholtens Frau diesen zur Amtsaufgabe zu bewegen, war der schlechteste überhaupt. In der Öffentlichkeit wird der Akt als unmenschlich empfunden. Und: Ein vom Volk gewähltes Stadtoberhaupt über Spesenabrechnungen und weinselige Gesprächsrunden abschießen zu wollen, ist naiv gewesen. Die SPD selbst ist dadurch zerstritten wie noch nie. Da sind die Scholten-Anhänger und jene, die ihn lieber heute loswerden wollen. Wie will diese Fraktion noch zusammenarbeiten, einen Haushalt mit neuen Einschnitten für die Bürger stemmen? Einen massiven Schaden weit über die Kommunalwahl hinaus befürchten mehrere. Der OB als Unterbezirksvorsitzender der SPD fürchtet es auch – und will dagegen ankämpfen.

Die Affäre hat den Stadtrat insgesamt belastet und den ohnehin geringen Teamgeist noch weiter reduziert. Es dürfte künftig noch schwieriger werden, Mehrheiten in diesem bunten politischen Spektrum zusammen zu schweißen. Doch diese Mehrheiten werden gebraucht, schon in den nächsten Wochen, wenn es darum geht, irgendwie die Stadt davor zu bewahren, dass ein Sparkommissar quasi im Federstrich Stellen streicht, Beiträge und Steuern erhöht. Zum Wohle der Stadt gestalten zu wollen, braucht bei allen Gegensätzlichkeiten immer auch einen Gemeinsinn. Den muss der Rat schnell wieder finden.

Die Stadtverwaltung hat Schaden genommen

Die Stadtverwaltung, wenn auch nicht in Gänze, aber in Teilen hat Schaden genommen. Die Spesenaffäre nährt den Vorwurf, der schnell gemacht wird: Die im Rathaus gehen mit dem Geld der Bürger nicht sorgsam um. Und: Die da oben lassen es sich gut gehen, und wir unten müssen immer neue Einschnitte verkraften. Das Bild ist falsch, es wird den Menschen in der Verwaltung in keiner Weise gerecht. Der Rat hat vor allem das Referat um den OB kritisiert und sieht dort Schwächen. Es gab ein Mangelhaft. Intern wird man darüber reden oder auch nachbessern müssen.

Letztlich hat auch das Image der Stadt gelitten. Mülheim war in den vergangenen Monaten eben nicht die sympathische Stadt an der Ruhr, wie man sich gerne bezeichnet. Hier wurde von Verrätern im Rathaus, von Hetzjagd auf den OB geredet, von Schlammschlacht. Über die weinseligen Dienstgespräche des Mülheimer OB mögen manche jenseits der Stadtgrenze gelacht haben. Doch lustig ist das nicht. Wie denken mögliche Investoren, wenn sie das hören und lesen? Vertrauensweckend ist das nicht gerade. Das Image der Stadt habe gelitten, ist aus der Wirtschaftsförderung zu hören. Der Oberbürgermeister sieht das anders.

Wie ein Mehltau hat sich die Affäre über die Stadt gelegt, sagt ein Ratsmitglied. Das Bild können viele nachvollziehen. Erwartet wird nun, zu welchem Ergebnis die Staatsanwaltschaft kommt. Sieht sie einen Anfangsverdacht der Untreue?

>> Neuwahl würde Stadt 400 000 Euro kosten

- Die Rüge ist ein politisches Zeichen des Stadtrates. Für ein Abwahlverfahren müsste es eine deutliche Mehrheit geben, die ist nicht in Sicht.

- Einen Rücktritt schloss der OB aus. Dies hielte er in seinem Fall auch für völlig unverhältnismäßig. Zudem spricht Scholten von viel Zustimmung, die er in der Stadt und im Rathaus erfahre.

- Eine Neuwahl mit Stichwahl eines OB würde die Stadt rund 400 000 Euro kosten.