Düsseldorf. Trotz guter Konjunktur leben in NRW drei Millionen Menschen an der Armutsgrenze. Der Sozialverband VdK fordert wirksamere Maßnahmen.

Das Armutsrisiko ist in Nordrhein-Westfalen 2017 auf eine Rekordhöhe gestiegen. Drei Millionen Menschen hätten im vergangenen Jahr im bevölkerungsreichsten Bundesland mit einem Einkommen auskommen müssen, das unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle lag. Dies sei ein neuer Höchststand, berichtete das Statistische Landesamt am Donnerstag.

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Der Vorsitzende des Sozialverbandes VdK NRW, Horst Vöge, warnte angesichts der Zahlen vor einer sozialen Spaltung der Gesellschaft. Landesozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) führt die Entwicklung auch darauf zurück, dass „in der Vergangenheit allzu oft die Symptome von Armut bekämpft wurden und nicht die Ursachen“.

Nach der Definition der Europäischen Union gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn ihr weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung steht. Bei einem Einpersonenhaushalt entsprach dies 2017 in NRW monatlich 968 Euro.Im vergangenen Jahr traf dies auf mehr als jeden sechsten Einwohner NRWs - insgesamt 17,2 Prozent der Bevölkerung - zu. Ein deutlicher Anstieg gegenüber 2007: Damals waren "nur" 14,5 Prozent der Bevölkerung betroffen.

Familien und gering Qualifizierte sind besonders gefährdet

Besonders stark armutsgefährdet sind gering qualifizierte Arbeitnehmer und ihre Familien: Zwei Fünftel (42,4 Prozent) dieser Haushalte waren nach Angaben der Statistiker von Einkommensarmut betroffen. Doch auch Hochqualifizierten seien inzwischen häufiger als früher armutsgefährdet, betonten die Statistiker.

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Portraitaufnahmen von Mitarbeitern der Funke Medien Gruppe am 17.03.2016 in Essen. Im Bild RedakteurJan Jessen. Foto: Kai Kitschenberg/FUNKE Foto Services
Von Jan Jessen(j.jessen@nrz.de)

Für den VdK NRW sind die jüngsten Zahlen ein Alarmsignal. Der Vorsitzende Horst Vöge klagte: "Obwohl es der deutschen Wirtschaft gut geht, konzentriert sich der Reichtum nach wie vor nur auf einige wenige. Auf der anderen Seite lebt in unserem Bundesland mittlerweile mehr als jeder Sechste am Existenzminimum." Vor allem treffe es Alleinerziehende und deren Kinder, Rentner und Niedriglohnbezieher.

Der Staat müsse mehr gegen Alters- und Kinderarmut, aber auch gegen Minijobs und Niedriglöhne tun, verlangte Vöge. "Wenn wir die soziale Spaltung nicht entschlossen bekämpfen, gefährden wir langfristig nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch unsere Demokratie."

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    Auch Karl-Josef Laumann betont, dass man „Armut nur durch Teilhabe an guter Arbeit bekämpfen“ könne. Deswegen habe die Landesregierung ein Ausbildungsprogramm aufgelegt und versuche, Menschen über den sozialen Arbeitsmarkt „eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen“.

    Als „unerträglich“ bezeichnete es Laumann gegenüber dieser Zeitung, wenn Kinder von Teilhabeverlusten betroffen seien. Damit Kinder ihre Rechtsansprüche aus Bildungs- und Teilhabeleistungen geltend machen könnten, habe er die Schulsozialarbeit mit einer Finanzierung bis 2022 ausgestattet, so der Christdemokrat.

    In den Revierstädten ist die Zahl der Betroffenen noch höher

    Die Zahlen des Landesamtes zeigen allerdings auch, dass die Armutsgefahr in Nordrhein-Westfalen je nach Region sehr unterschiedlich ist. Am höchsten war das Armutsrisiko nach Angaben der Statistiker 2017 in den Ruhrgebietsstädten Bottrop und Gelsenkirchen sowie im Kreis Recklinghausen, wo mehr als 22 Prozent der Einwohner betroffen waren. Deutlich über dem Durchschnitt lagen aber auch andere Revierstädte wie Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen.

    Am niedrigsten war die Armutsgefahr demnach mit 13,7 Prozent in der Uni-Stadt Münster und den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt sowie Warendorf. Auch die Stadt Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis schlugen sich mit einer Quote von nur 14 Prozent überdurchschnittlich gut.

    NRW schneidet im bundesweiten Vergleich schlecht ab

    Im bundesweiten Vergleich schneidet NRW eher schlecht ab. Gemessen am bundesdeutschen Einkommens-Mittelwert gehört die Armutsgefährdungsquote in NRW zu den höchsten bundesweit. Nur in Bremen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ist die Armutsgefahr noch größer. Am geringsten ist sie demnach in Baden-Württemberg und in Bayern. (mit dpa)