NRW. Bei der Kinder-Betreuung ist NRW bundesweit Letzter. Die Finanzspritze der Landesregierung hilft offenbar nicht wirklich. Eine Bestandsaufnahme.
Die Zahlen sind eindeutig: Bundesweit fehlen 300.000 Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren. In Nordrhein-Westfalen ist der Anspruch zwischen gewünschter Betreuung und vorhandenen Plätzen besonders groß. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, die auf einer repräsentativen Umfrage unter Familien beruht, zeigt, dass sich 41,9 Prozent der Eltern einen Betreuungsplatz für ihr Kind wünschen. Allerdings bekommen nur 26,3 Prozent auch tatsächlich einen. In keinem anderen Bundesland ist die Bedarfslücke größer.
Kitas sehen sich in zweierlei Hinsicht größerer „Kundschaft“ gegenüber: Zum einen war 2016 das geburtenstärkste Jahr seit der Jahrtausendwende. Zum anderen sind seit 2015 auch viele Kinder von Flüchtlingsfamilien unter den Bewerbern.
Landesregierung gibt 500 Millionen Euro
Die Landesregierung hat im vergangenen Jahr das Gesetz zur Kita-Träger-Rettungskonzept verabschiedet. Es umfasst eine einmalige Finanzspritze von 500 Millionen Euro für die NRW-Kommunen. Familienminister Dr. Joachim Stamp sagte im Rahmen des Deutschen Kitaleitungs-Kongresses in Düsseldorf: „Die Erzieherinnen und Erzieher, die unsere Kinder auf den ersten Schritten ihres Bildungsweges fördern, verdienen unsere größte Anerkennung und unseren Respekt. Ihnen wird oftmals viel zu wenig Wertschätzung und gesellschaftliche Anerkennung entgegengebracht, dabei sind sie die tragende Säule der frühkindlichen Bildung.“
Auch interessant
Mit dem Geld soll die „unmittelbare finanzielle Not der Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen abgewendet und Personaleinsparungen zulasten der Betreuungsqualität entgegen gewirkt werden“. Weitere Konzepte seien derzeit in Planung. Auf Nachfrage konnte das Ministerium noch keine konkreten Projekte benennen. Dortmund erhielt beispielsweise 15,9 Millionen Euro, Duisburg 11,4 Millionen und Hagen etwa 5 Millionen. Das Geld haben die Kommunen entweder an die jeweiligen Träger der Einrichtungen weitergeleitet oder in den eigenen Topf für Kitas gesteckt.
Berthold Paschert, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, spricht von einer hohen Belastung, der die Mitarbeiter von Kitas ausgesetzt sind. In der Ü3-Betreuung kämen auf eine Betreuungsperson zehn bis zwölf Kinder. Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung sieht maximal acht Kinder als ideale Gruppengröße an.
"Tropfen auf den heißen Stein"
Paschert gibt zu bedenken: „Erzieher arbeiten nicht nur am Kind. Zu ihren Aufgaben gehören auch Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche.“ Die 500 Millionen Euro der Landesregierung seien eher ein Tropfen auf den heißen Stein. „Wir brauchen dringend ein neues Kita-Gesetz zur Qualitätssteigerung. Kindertagesstätten brauchen mehr Personal und attraktivere Bezahlung für diese Jobs.“ Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten werden nach Entgeltgruppe S8a bezahlt. Das entspricht beim Berufseinstieg nach einem absolvierten Praktikum 2700 Euro monatlich. Das Maximum von 3427 Euro ist nach 16 Jahren im Beruf erreicht.
Ein weiterer Aspekt, der auf die Betreuungspersonen zukommt, sei die Sprachförderung: „Unter den Kolleginnen und Kollegen gibt es eine große Fortbildungsbereitschaft. Dafür müssen sie aber freigestellt werden und fehlen dann im Betrieb.“ Die Gewerkschaften fordern für die Beschäftigten eine Tariferhöhung von sechs Prozent, mindestens aber eine Gehaltserhöhung von 200 Euro.
Situation von Familien hat sich verändert
Auch interessant
Petra Windeck vom Deutschen Familienverband sieht ein grundsätzliches Problem im System: „Die meisten Kommunen sind engagiert, Kita-Plätze zu vermitteln. Sie bemühen sich.“ Die Politik müsse schneller umdenken. Insgesamt habe sich auch familiär die Betreuungssituation den letzten Jahrzehnten gewandelt: „Es gibt nicht mehr so viele Omas, die nicht arbeiten und sich daher um die Kinder kümmern können. Mütter wollen inzwischen schneller wieder in ihren Beruf zurück. Wir beobachten, dass Eltern nach einem Jahr den gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen.“
Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, hänge für viele Paare auch mit dem kommunalen Betreuungsangebot zusammen. Von der Praxis, dass sich Eltern für den Betreuungsplatz extra engagieren müssen, hält Windeck wenig: „Ich bin nicht der Meinung, dass Eltern für Maßnahmen wie Renovierungen eingebunden werden sollten.“ Das widerspreche dem eigentlichen Zweck der Einrichtung, nämlich der Entlastung der Eltern. In pädagogischen Belangen – Stichwort Erziehungspartnerschaft – sei die Einbindung von Eltern aber natürlich erwünscht.
Eine Übersicht über den Elternanteil für den Kita-Platz finden Sie auf der Internetseite des Steuerzahlerbundes NRW.
Hintergrund: Tageseltern
- Zusätzlich zum Angebot der Kindertagesstätten kümmern sich in NRW 14.271 Tagesmütter und -väter um die Betreuung von 40.733 Kindern.
- Jede Pflegeperson darf in NRW gleichzeitig bis zu fünf fremde Kinder betreuen. Verträge mit mehr als fünf Eltern sind aber möglich.
- Für die Qualifizierung müssen die Tageseltern 160 Unterrichtsstunden absolvieren. Das Jugendamt überprüft zudem die Räumlichkeiten der Anwärterinnen und Anwärter.