Essen. Ein Tarifgebiet, ein Ticket, ein Preis: Doch ist der zu hoch? Und der Effekt fürs Klima zu klein? Verkehrswissenschaftler äußern sich skeptisch.
Das Deutschlandticket soll den Tarifdschungel im öffentlichen Nahverkehr radikal lichten, die Fahrt mit Bussen und Bahnen insgesamt attraktiver machen und die bislang weit verfehlten Klimaziele im Verkehrssektor befördern. Sind die Erwartungen zu hoch gesteckt? Ist das 49-Euro-Ticket gar zu teuer? Führende deutsche Verkehrswissenschaftler äußern sich skeptisch. Ein Überblick.
Der Preis:
49 Euro soll das Deutschlandticket pro Monat kosten, das man nur im Abo bekommt. Viele hadern mit dem Preis. Sozialverbände fordern einen Rabatt für Bedürftige. Berlin will an seinem 29-Euro-Ticket für Fahrten im eigenen Stadtgebiet festhalten, Hessen ein landesweit gültiges 31-Euro-Ticket für Geringverdiener aufs Gleis setzen. NRW verhandelt noch mit den Verkehrsverbünden, wie man auch hierzulande weitere Vergünstigungen etwa für Schüler, Studierende und Sozialhilfeempfänger einbaut.
Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitales am Wissenschaftszentrum Berlin, hält 49 Euro ganz allgemein für zu teuer. Der große Durchbruch sei so nicht zu schaffen. „Unsere Forschungen haben ergeben, dass 29 Euro für einen Monat ein Preis wäre, bei dem die allermeisten Verkäufe zu erwarten wären“, sagt Knie. Mark Andor, Leiter der Forschungsgruppe „Prosoziales Verhalten“ am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, glaubt, dass das Deutschlandticket deutlich weniger stark nachgefragt sein wird als das 9-Euro-Ticket aus dem Sommer 2022. In einer RWI-Umfrage im November und Dezember gaben laut Andor etwa 15 Prozent der Befragten zu Protokoll, dass sie das Deutschlandticket regelmäßig kaufen und nutzen werden, zehn Prozent waren noch unentschieden. Alle übrigen Befragten wollen es eher nicht nutzen.
Die Klimaziele:
RWI-Forscher Andor glaubt nicht an einen starken Umwelteffekt des Deutschlandtickets. „Bisherige Erfahrungen mit kostenlosen ÖPNV-Angeboten und die Erfahrung mit dem 9-Euro-Ticket deuten darauf hin, dass kein starker Rückgang der Autonutzung zu erwarten ist“, sagt Andor. Zwar würden insbesondere Pendlerinnen und Pendler mit guter ÖPNV-Anbindung auf das Ticket umsteigen und auf das Auto oder eines ihrer Autos verzichten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung sei diese Gruppe absehbar aber zu klein, um einen substanziellen Einfluss auf die CO2-Emissionen zu nehmen.
Prof. Gernot Liedtke vom Institut für Land- und Seeverkehr der Technische Universität Berlin rechnet mit zwei Millionen Tonnen als oberer Grenze für jährliche CO2-Einsparungen, wahrscheinlicher aber seien eine Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Das Umweltbundesamt hatte jüngst berechnete, dass ein Tempolimit auf den Autobahnen den Ausstoß von 6,7 Millionen Tonnen Treibhausgasen verhindern würde - ein Vielfaches der Einsparung durch das Deutschlandticket und dabei vollkommen kostenlos.
Der ÖPNV-Ausbau:
In den Augen vieler Verkehrsmanager ist die Einführung des Deutschlandtickets der zweite Schritt vor dem ersten. Zunächst hätte man mehr Busse und Bahnen auf die Strecke bringen müssen, dann den Tarif billiger machen, hört man in der Branche. Auch die Wissenschaft warnt vor einer Überlastung des ohnehin auf Verschleiß laufenden ÖPNV. Neben dem Preis sei die Qualität entscheidend, sagt Mark Andor. „Menschen werden nur auf das Auto verzichten, wenn sie mit anderen Mitteln ihre Mobilitätsbedürfnisse erfüllen können“, so der RWI-Experte.
Umfragen in Bochum, Dortmund und Essen hätten gezeigt, dass sich die Bürger als wesentliche Verkehrsmaßnahme insbesondere ein besseres ÖPNV-Angebotes wünschten. Dringend nötig seien zudem mehr Busse und Bahnen im ländlichen Raum, betont Jan Schlüter, Professor für Data Science von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Holzminden.
Der Ausblick:
Wer nach vorn schaut, muss die Gegenwart kritisch hinterfragen. Mit Blick auf den Ist-Zustand des ÖPNV findet Forscher Andreas Knie denn auch ungewöhnlich scharfe Worte. Das System sei „morsch“ und „im Kern eine Resterampe – erdacht für Menschen, die keinen Führerschein haben“. Das Angebot werde lieblos platziert und könne die aktuellen Anforderungen einer mobilen Gesellschaft nur noch in den ganz großen Städten bedienen, so Knie.
Wie aber kommt man heraus aus dem Dilemma? „Wir brauchen ein Angebot, das für den Betreiber Anreize bietet, möglichst viele Fahrgäste zu befördern“, meint Knie. Der ÖPNV müsse raus aus der Daseinsvorsorge und nicht mehr als lästige Pflichtaufgabe betrachtet werden.
Gernot Liedtke hält das Deutschlandticket „grundsätzlich für den richtigen Weg“. Besser wäre es jedoch, es wie das 9-Euro-Ticket auch ohne Abonnement digital, einfach und sofort gültig anzubieten. Laut Beschluss der Bund-Ländern-Konferenz soll es das Deutschlandticket nur im Abo geben. Für Mark Andor ist ein „Flat-Rate-Ticket“ im ÖPNV dagegen nicht das Mittel der Wahl, weil es allein nicht reichen werde für die oft zitierte Verkehrswende. Wahrscheinlich komme man nicht umhin, Autofahrern „Privilegien“ zu nehmen, und sei es in Form einer Städtemaut.